Beschreibung
Kulturelles Leben, das seinen Namen verdient, darf sich nicht in der Saturiertheit bereits mehr oder weniger glücklicher Genießer gewisser Kulturgüter erschöpfen; es sollte sich vielmehr vom Anderen her als 'gastlich' erweisen. Dieser Gedanke wird in diesem Buch im Lichte der geschichtlichen Erfahrung einer exzessiven Freiheit erprobt, die das lange gewachsene Geflecht der europäischen Lebensformen zu zerstören drohte. Konkrete Erscheinungsformen dieser Freiheit werden unter Titeln wie Genozid, Bio-Politik und Exklusion diskutiert. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die Frage, inwiefern die Herausforderung kultureller Lebensformen zur Gastlichkeit im Zeichen der Freiheit gegenwärtig für den Sinn kulturellen Lebens maßgeblich ist.
Wer es sich leisten kann, nach den Möglichkeiten glücklichen Lebens zu fragen, ist schon glücklich – jedenfalls gemessen an der andernorts eklatanten, todbringenden Ungerechtigkeit, die die europäisch-westlichen Lebensformen samt aller moralisch-rechtlichen Fortschritte, die sie sich gerne zugute halten, im globalen Horizont kompromittiert.
Für radikale Kritiker wie Ted Honderich und Jacques Derrida ist es gerade diese Ungerechtigkeit, die erklärt, warum diesen Lebensformen vielerorts tödliche Feindschaft bis hin zum Terror entgegenschlägt. So falsch es ist, daraus eine Rechtfertigung terroristischer Gewalt abzuleiten, so deutlich ist doch, dass die Frage danach, was kulturelles Leben, das seinen Namen verdient, ausmacht oder ausmachen sollte, in dieser Lage ganz neu herausgefordert wird. Weit davon entfernt, sich in der Saturiertheit bereits mehr oder weniger glücklicher Genießer gewisser Kulturgüter erschöpfen zu können, muss es sich selber von neuem als Antwort auf radikale Herausforderungen begreifen lernen. Das ist der Ansatzpunkt dieses Buches.
Es untermauert zunächst die kulturtheoretische Notwendigkeit, kulturelles Leben als eine solche Antwort zu verstehen, und unternimmt den polemischen Versuch, die Konturen einer Herausforderung (unter vielen anderen) genauer zu umreißen: die Herausforderung durch radikale Feindschaft. Kulturelles Leben, das ist die These, die der erste Teil zur Diskussion stellt, muss und sollte sich vom Anderen her als 'gastlich' erweisen, selbst wenn er uns als radikaler Feind begegnet. Dieser Gedanke wird im zweiten Teil im Lichte der Erfahrung einer exzessiven Freiheit erprobt, die das lange gewachsene Geflecht der europäischen Lebensformen beinahe zerrissen und zum Untergang verurteilt hat. Die konkreten Erscheinungsformen dieser Freiheit werden schließlich im dritten Teil unter Titeln wie Genozid, Bio-Politik und Exklusion diskutiert.
In zehn unterschiedlich ansetzenden Anläufen wird so die Frage aufgeworfen, wie tief das Denken europäischer Lebensformen noch immer in einer Gewaltgeschichte verwurzelt ist, die es nicht zu einer selbstgerechten 'Europäisierung aller fremden Menschheiten' oder zum unbesehenen Export seiner Werte und Normen, sondern vor allem dazu herausfordert, sich einer unaustilgbaren Selbstfremdheit zu stellen. Diese Gewaltgeschichte gehört mitnichten einer bereits erledigten Vergangenheit an, die nur noch von 'historischem' Interesse wäre; sie befremdet nach wie vor in der Tiefe der europäischen Gegenwart.
Autorenportrait
Burkhard Liebsch, Prof. Dr., lehrt apl. Philosophie mit den Schwerpunkten Sozialphilosophie, Praktische Philosophie/Ethik, Politische Theorie und Philosophie der Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum.