Beschreibung
Im politischen Leben soll gelten: 'Heute sind alle Menschen Menschen
' (Baudrillard) – auch Feinde, denen un-menschliche Un-Taten
gegen Andere zur Last zu legen sind und die sich in Folge dessen
aus der Menschheit auszuschließen scheinen oder von Anderen aus
ihr ausgeschlossen werden. Wenn nun aber alle Menschen, auch
Un-Menschen, Menschen sein sollen bzw. als solche behandelt werden
sollen, so hat es mit derartigen Exklusionen scheinbar ein Ende.
Menschen sollen unter allen Umständen als Menschen 'zählen',
auch solche, deren Tun keine Spur des Menschlichen mehr zu verraten
scheint, so dass man dazu neigt, das Tun – oder die Täter selbst
– als 'monströs' einzustufen. Dennoch soll jedem der unbedingte
Anspruch zustehen, menschlich behandelt zu werden. Menschen
könnte man demnach geradezu dadurch definieren, dass sie darüber
befinden, wer in diesem Sinne als Mensch zählt – und wer nicht
zur Menschheit zu rechnen ist. So gesehen wird unsere Aufmerksamkeit
weniger auf die Frage gelenkt, was alle Menschen als solche
ausmacht, sondern vielmehr darauf, wie es dazu kommen kann, Andere
nicht als Menschen zählen zu können oder zu wollen.
Vielleicht wären wir des Menschen tatsächlich endgültig überdrüssig,
wie Nietzsche meinte, würde nicht eben dies: wer als Mensch
zählt und wer Anspruch darauf hat, immer wieder auf dem Spiel
stehen. Weit entfernt, etwa durch eine biologisch definierbare
Gattungszugehörigkeit oder durch ein universales Recht, das von
vornherein ausnahmslos alle Menschen einbeziehen soll, erledigt
zu sein, kommt dieser prekäre Anspruch nur okkasionell zur Geltung.
Er ist niemals vor radikaler Anfechtung verlässlich geschützt. Das
zeigt sich in radikaler Feindschaft, die 'restlos' alles aufzukündigen
scheint, was Menschen noch im Geringsten miteinander zu verbinden
verspricht.
Eine biologische Definition der Menschheit hilft in dieser Frage
so wenig weiter wie ein fragwürdig rechtschaffener Juridismus,
der in universalen, unabdingbaren Rechten, die jedem Menschen
unter allen Umständen zustehen sollen, die Lösung sieht.
Dieser Juridismus hält es für ausgemacht, dass er es immer mit
Menschen zu tun hat, während eben das in der Erfahrung radikaler
Verfeindung in Frage steht, wo un-menschliche Un-Taten
die Erfahrung einer unannehmbaren Gemeinschaft implizieren.
Der Spur dieser Gemeinschaft folgt dieses Buch und wirft von
daher die Frage auf, ob wir es heute gerade in Folge der Erfahrung
radikaler Feindschaft mit einer Renaissance des Menschen
zu tun haben. Es geht von der Herausforderung einer
Radikalisierung der Feindschaft aus, die immer wieder in ein
Zerbrechen jeglicher menschlichen Gemeinschaft zu münden
droht.
Autorenportrait
Burkhard Liebsch lehrt Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum mit den Arbeitsschwerpunkten Sozialphilosophie, Praktische Philosophie/Ethik, Politische Theorie und Philosophie der Geschichte.