Beschreibung
'Zu den Gedichten von Lioba Happel
Das ist der erste Eindruck: Weite auf engem Raum, mal geringeres und mal größeres Wortaufkommen, stets hohe Wortnutzungskapazität, reizvolle Kippbildhaftigkeit aus überraschendem Wechsel von Nähe und Distanz, nicht nachlassende Dialogbereitschaft.
Die Gedichte offerieren trotz vermeintlicher Knappheit keine beschaulichen Sentenzen. Stattdessen erinnern sie daran und führen immer wieder vor, dass jedes Wort zählt und dass alles, auch das Beiläufigste, auf Worte angewiesen bleibt und ständig im Werden ist, ständig im Fluss.
Beständig und im Fluss, beides. Hartnäckig und aufgelöst. Greifbar und nicht zu greifen. Das gibt allem eine Offenheit, die oft erst auf den zweiten Blick als solche erkannt werden kann und die immer wieder einlädt zum Lesen, Nachlesen, Nachprüfen. Bis man merkt: Lioba Happels Gedichte schaffen Klarheit durch Nachsicht allem Uneindeutigen gegenüber, und sie geben diese als Forderung an die Lesenden weiter. Sie tun das auf sehr präzise Weise, oft in kühl montierten Szenen und in schnell zuschnappenden Bildern, die der Logik der Sprache mehr zutrauen als jener der durch sie besprochenen Welt.
Beispielsweise kommt in diesen Gedichten der Verlust eines Menschen zur Sprache – und zu lesen ist, dass beides, der Mensch und der Verlust, durch Sprache nicht wettzumachen, noch nicht einmal zu beschreiben ist. Es gibt kein Entkommen, verloren ist verloren. Allenfalls gibt es eine Erträglichkeit, und diese entsteht durch die Gewissheit, dass dort, wo das Gedicht nicht mehr weiter weiß, alles schon gesagt ist.
land ohne land: darin ist jedes Wort ein Schritt auf etwas zu, das Halt verspricht und nicht länger hält als das Wort.'
Martin Zingg
Rezension
'Elektroschock-BluesFür anderthalb Jahrzehnte schien die Dichterin Lioba Happel fast aus der Literatur verschwunden zu sein. Mit den Bänden ›Grüne Nachmittage‹ und ›Der Schlaf überm Eis‹, 1993 und 1995 bei Suhrkamp erschienen, war sie eine sehr hörbare Stimme der deutschen Lyrik geworden. Und nach dem selbstironischen Bildungsroman 'Ein Hut wie Saturn' galt sie auch als talentierte Erzählerin. Danach ließ sie sich nur noch sporadisch vernehmen. Jetzt ist Lioba Happel wieder da, als sei sie gar nicht weg gewesen. Mit dem Gedichtband ›land ohne land‹ schreibt sie genau da weiter, wo sie damals aufgehört hat. Und auf einmal hat man wieder diesen irritierend schönen Sound im Ohr, diesen Mix aus romantischen Reminiszenzen und sehr gegenwärtigen Alltagserfahrungen, jähem Pathos und lapidarer Selbstdistanz. Wieder geht es hinab in die ungewissen Zwischenwelten von Schlaf und Traum, aus denen gespenstische Kindheitserinnerungen aufsteigen, Fragmente von Liebeskatastrophen und visionäre Landschaften. Mythenzauber und Märchenmotive flackern im Licht des ›knall / roten / elektro / schock / mohns‹. Vom Balancieren an den Rändern des Lebens ist die Rede, von Schwindel, Stürzen und der überraschten Dankbarkeit 'für einen letzten glücklichen Tag'. Und jedesmal werden die träumerischen Ausschweifungen aufgefangen durch die unaufdringlich rhythmisierten, manchmal bis zur Härte elliptischen Verse. Es ist der vertraute Sound einer eigensinnigen Dichterin; beim Wiederhören bemerkt man, wie man ihn vermisst hatte.'Heinrich Detering in der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'