Beschreibung
Vielleicht wäre Karl Freund heute einer der vergessenen jüdischen Kunstwissenschaftler,
wenn nicht mutige Freunde seinen „Schriftlichen Nachlass“ gerettet und der Graphischen
Sammlung im Hessischen Landesmuseum Darmstadt zur Aufbewahrung übergeben hätten.
Der Nachlass, wenn auch fragmentarisch, umfasst tagebuchähnlich geführte „Aufzeichnungen“
und „Texte zur Kunst“ in einem Umfang von nahezu 1000 Seiten. Die vorliegende
Edition wird begleitet von einer eindringlichen biographischen Darstellung.
Karl Freund entstammte einer jüdischen Familie aus dem badischen Odenheim. Sein Vater
war ein „Selfmademan“, der im hessischen Pfungstadt edle Zigarren fabrizierte. Der Sohn
Karl genoss eine humanistische Schulbildung in Darmstadt, fand über ein Jurastudium zu
den Geisteswissenschaften und wurde 1906 in München zum Kunstwissenschaftler promoviert.
Das Volontariat am Großherzoglich Hessischen Landesmuseum wurde durch Militärdienst
und Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg unterbrochen. Unmittelbar nach Kriegsende
entfaltete der zum Kustos Beförderte eine lebhafte und wirksame Tätigkeit als Kunstsammler,
Ausstellungsmacher und Kunstvermittler in der Landeshauptstadt Darmstadt. Freunds
Engagement für zeitgenössische Kunst, sein Ansehen in der Darmstädter Gesellschaft erfuhren
ein jähes Ende durch den Machtantritt der Nationalsozialisten. Die Entlassung aus
dem Museumsdienst 1933, die Internierung im Konzentrationslager Buchenwald 1938, der
misslungene Versuch, in die USA zu emigrieren, waren begleitet von wachsender Diskriminierung
und Vereinsamung. Im Zuge der „Aktion zur kalten Erledigung der Mischehen“
wurde Karl Freund 1943 in das Arbeitslager Heddernheim bei Frankfurt a.M. verschleppt.
Von dort wurde er nach Auschwitz deportiert und im Konzentrationslager ermordet.
Die Schriften Freunds, niedergeschrieben zwischen 1920 und 1941, lassen den zermürbenden
Druck erkennen, unter dem er nach 1933 zu überleben versuchte. Er fand Zuflucht in
seiner leidenschaftlichen Hingabe an die Kunst und in seinem umfassenden Wissen. Die
„Texte zur Kunst“ dokumentieren eine Ära, die reich an politischen, gesellschaftlichen,
kunstwissenschaftlichen und künstlerischen Umbrüchen war. Sie sind zudem der sehr persönliche
Versuch eines hochgebildeten Mannes, den Sinn von Kunst zu erforschen. Unter
immer neuen Aspekten betrachtet er Künstler und Kunstwerke quer durch die Jahrhunderte
und Weltkulturen. Die Denk- und Schreibweise von Karl Freund hat nichts an Aktualität
verloren. In ihrer Originalität und Spontaneität fordern seine Schriften den Dialog mit den
Utopien zeitgenössischer Kunsthistoriker.
Die vorliegende Publikation veranschaulicht mit mehr als 80 Abbildungen, einer sorgfältig
geführten Kommentierung sowie dem umfangreichen Personenregister die Zeit, in welcher
Karl Freund lebte und wirkte, in der er als Jude aber letztlich keinen Platz finden konnte.