Beschreibung
Die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung war in Deutschland seit der Wende zum 19. Jahrhundert
eines der meistdiskutierten innenpolitischen Themen. Während über das Ziel weitgehend Einigkeit
herrschte, gingen die Meinungen über den einzuschlagenden Weg weit auseinander. Eine vom Vorbild
des revolutionären Frankreich inspirierte Minderheit plädierte für eine sofortige rechtliche Gleichstellung,
die erwartete Gegenleistung, d.h. vor allem die Aufgabe der einseitigen Berufsstruktur und die kulturelle
Anpassung, würde dann schon folgen. Dagegen neigte die Mehrheit dazu, erst nach erbrachter
Anpassungsleistung schrittweise bürgerliche Gleichheitsrechte zu gewähren.
Wie die vorliegende Quellensammlung an Hand von Beispielen aus dem politischen, wirtschaftlichen und
kulturellen Leben des nassauischen Judentums belegt, überwogen auch im Herzogtum Nassau die
Stimmen, die sich für eine stufenweise Gewährung von Gleichstellungsrechten aussprachen. Ein Vergleich
mit den einschlägigen Reformleistungen anderer deutscher Staaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts
offenbart, dass Nassau am Ende der Rheinbundzeit im Vergleich zu seinen ehemaligen Verbündeten ein
deutliches Reformdefizit aufwies. Schon der erste Schritt, die Abschaffung des Leibzolls, war in den
nassauischen Territorien später als in den Nachbarstaaten erfolgt und kam auch nur unter erheblichem
außenpolitischen Druck zustande. Der grundsätzliche Anspruch der jüdischen Minderheit auf gleiche
bürgerliche Rechte wurde ihr in Nassau bis zur Jahrhundertmitte nicht zugestanden. Die von den
Vorgängerterritorien übernommenen alten Judenordnungen verloren nur allmählich ihre Gesetzeskraft.
So blieb der Revolution von 1848 der entscheidende Schritt vorbehalten. Erst die Novellierung des
Gemeindebürgergesetzes vom 12. Dezember 1848 machte aus den Inhabern von Schutzbriefen
gleichberechtigte Gemeindebürger. Anders als in den meisten Staaten des Deutschen Bundes wurden
diese Reformen in den folgenden Jahren in Nassau aber nicht wieder zurückgenommen. Damit war, sieht
man von der erst 1861 erfolgten Abschaffung des Judeneids ab, die bürgerliche Emanzipation der Juden in
Nassau abgeschlossen.
Die Dokumentation zeichnet in 130 Quellentexten, die thematisch angeordnet und kommentiert sind, ein
Bild vom Ringen um die Eingliederung einer gesellschaftlichen Minderheit. Das Buch ist nicht nur für die
nassauische Landesgeschichte von Interesse, sondern auch ein Baustein zur Erforschung der
Judenemanzipation im Deutschland des 19. Jahrhunderts.