Beschreibung
Dass das Subjekt, das in erkennender Absicht einen Gegenstand vorstellt, nicht nur von aussen, sondern auch von innen und insofern auch durch sich selbst affiziert wird, gehört zu den Annahmen, die Kant, wie man insbesondere der zweiten Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft entnehmen kann, für selbstverständlich und dennoch für sehr erklärungsbedürftig hielt. Für den Interpreten, der sich die hauptsächlichen Ziele und Thesen von Kants kritizistischem Standpunkt und transzendentaler Denkart in Erinnerung ruft, bereitet diese Annahme nicht wenig Kopfzerbrechen. Sie wirft fundamentale Fragen auf: Was genau versteht Kant unter dem sich selbst affizierenden Subjekt? Welche Funktion schreibt er einem derartigen Subjekt im Hinblick auf sein Erkenntnisziel, die Begründung synthetischer Erkenntnis a priori, zu? Wie bestimmt er dieses Subjekt im Verhältnis zur ursprünglichen Apperzeption, die er im Sinne eines obersten Subjektvermögens der Einheit oder Denkbarkeit alles Angeschauten einführt? Inwiefern kann er das Vermögen einer Selbstanschauung, das er bei dem sich selbst affizierenden Subjekt einräumt, von der intellektuellen Anschauung, die er vehement zurückweist, abgrenzen?
Die vorliegende Studie sucht nach Antworten auf diese und damit zusammenhängende Fragen. Ein zentrales Ergebnis lautet, dass der Selbstaffektion die Funktion einer die Erkenntnismethode der Ermöglichung von Erfahrung vorbereitenden Vergegenwärtigung und Verdeutlichung der Formen der reinen Anschauung und des Verstandes zukommt. Dabei dient sie auf der Stufe des Verstandes auch eigens der durch das Vermögen der Einbildungskraft vermittelten Gewinnung anschauungsorientierter Formen. Die Studie konzentriert sich auf die Problemlage beim kritischen Kant, wirft aber auch einige perspektivische Blicke auf den Kant des Opus postumum sowie auf aufschlussreiche verwandte Überlegungen bei Reinhold und Fichte.