Beschreibung
Gesundheit wird im 18. Jahrhundert zu einem gesellschaftlich bedeutenden Thema. Sie gilt nicht länger als göttliches Schicksal, sondern als ein von Menschen beeinflussbares und verantwortetes Gut. Für das Bürgertum wird Gesundheit eine zentrale Voraussetzung für Erfolg und verbindet sich eng mit den bürgerlichen Tugenden Reinlichkeit und Mässigkeit. Mit dem sich professionalisierenden Ärztestand und der wissenschaftlichen Hygiene etabliert sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Begriff der öffentlichen Gesundheitspflege ein eigenständiges Politik- und Handlungsfeld. Die Konzepte der Hygiene, die im Kampf gegen Cholera, Typhus und Pocken zuerst in den rasch wachsenden Städten angewendet werden, erfordern immer mehr staatliche Einrichtungen und Gesetzgebungen auf Bundes- wie auf kantonaler Ebene.
Neben staatlichen Massnahmen und Einrichtungen spielen zivilgesellschaftliche Bewegungen eine zentrale Rolle. Sie nehmen sich verschiedener Probleme an – etwa des Alkoholismus, der Säuglingssterblichkeit oder der Tuberkulose –, gründen Organisationen und nehmen Einfluss auf Lösungsansätze.
Nach dem Zweiten Weltkrieg gewinnt die kurative Medizin an Gewicht. Der Ausbau der Spitäler und die verbesserten medizinischen Angebote führen zu einer massiven Kostensteigerung. Mit der Etablierung der Präventivmedizin und der Konzeption von New Public Health rückt die Vorsorge im Zusammenhang mit den chronischen Krankheiten wieder ins Blickfeld. Das ökonomisch geprägte Denken des Neoliberalismus und die neuen genetischen Erkenntnisse prägen die individualisierende Sicht auf Gesundheit und Krankheit und stellen das «genetische Schicksal» in Frage.
Autorenportrait
Brigitte Ruckstuhl
studierte Geschichte und Ethnologie an der Universität Zürich. Sie ist in verschiedenen Feldern von Public Health, insbesondere in der Gesundheitsförderung und Prävention, seit 2009 als frei-schaffende Public-Health-Expertin und Historikerin tätig.
Elisabeth Ryter
studierte Geschichte und Kunstgeschichte an den Universitäten Bern und Zürich. Ihre Schwerpunkte als freischaffende Sozialwissenschafterin sind Bildung, Gleichstellung und Soziales.
Inhalt
Einleitung
1 Gesundheitsdiskurs und «medicinische Policey» im ausgehenden Ancien Régime
1.1 Der Gesundheitsdiskurs der Aufklärung
1.2 Konzepte für eine öffentliche Gesundheit
1.3 Erste Versuche mit einer Schutzimpfung
2 Die Hygienerevolution
2.1 Die Internationale der Hygieniker
2.2 Ärzte als Volkserzieher
2.3 Die Professionalisierung des Ärztestandes
2.4 Medizinische Versorgung
2.5 Kritik am ärztlichen Monopol
3 Gesundheit als öffentliche Aufgabe: kantonale Gesetzgebung – kommunaler Vollzug
3.1 Die Hygiene findet Eingang in die Gesetzgebung
3.2 Die Assanierung der Städte
3.3 Die Wohnmisere
3.4 Die Schule im Visier der Hygiene
4 Gesundheit als öffentliche Aufgabe: der Bund als Akteur
4.1 Das Fabrikgesetz
4.2 Das Epidemiengesetz
4.3 Das Alkoholmonopol
4.4 Die Kranken- und Unfallversicherung
5 Soziale Hygiene und der Ausbau der Gesundheitsfürsorge
5.1 Der Kampf gegen die Tuberkulose
5.2 Die Sorge um die Säuglinge
5.3 Geschlechtskrankheiten zwischen Moral und Medizin
5.4 Struktureller Auf- und Ausbau der öffentlichen Gesundheit
6 Die Versorgung im Mittelpunkt
6.1 Vom Ausbau der Versorgung zur Kostenexplosion
6.2 Gesundheitsligen übernehmen öffentliche Aufgaben
6.3 Zahnmedizin: von der Reparatur zur Prophylaxe
6.4 Die Umweltverschmutzung drängt nach Massnahmen
7 Von der Präventivmedizin zu Public Health
7.1 Die Sozial- und Präventivmedizin etabliert sich
7.2 Chronische Krankheiten und das Risikofaktorenmodell
7.3 In Richtung New Public Health
7.4 Von der Drogenpolitik zu einer integralen Suchtpolitik
7.5 Aids: eine neue Epidemie
7.6 Erfolge und Grenzen von New Public Health
8 Öffentliche Gesundheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts
8.1 Das präventive Selbst
8.2 Wie vertragen sich Genomik und öffentliche Gesundheit?