Beschreibung
Edition Künstler im Gespräch Vol. 9 – Die Kunst ist kein Polizeistaat (Sándor Veress).
Diesen Satz des ungarischen Komponisten Sándor Veress, der sich auf den sehr freien Umgang des Komponisten mit der Zwölftonreihe in seiner Musik bezieht, zitiert sein Sohn Claudio (SACD?3). Man könnte ihn jedoch ebenso gut den politischen und persönlichen Umständen, mit denen Sándor Veress auf seinem abenteuerlichen Lebensweg konfrontiert wurde und die ihn letztendlich zu einem Leben im Exil zwangen, zuschreiben: Aufgewachsen und ausgebildet in Budapest, ging er in seinen jungen Jahren nach Berlin, London und Rom, bevor er Ende der Vierzigerjahre als politischer Emigrant durch eine Verkettung glücklicher Umstände in Bern Wurzeln schlagen und eine neue Heimat finden konnte. Das Thema der Verwurzelung, der Ursprünglichkeit, beschäftigte ihn auch musikalisch ein Leben lang, was sich besonders in seiner Feldforschung in den Dörfern der rumänischen Moldau zeigte, die er als gerade 23Jähriger intensiv betrieb. Er dokumentierte sowohl schriftlich als auch akustisch, per Edison Phonograph, mit Akribie und Leidenschaft das ungarische Liedgut und reflektierte dieses in seinen Kompositionen, die hierdurch, balancierend zwischen Volkslied, in die Moderne weitergedachter kontrapunktischer Tradition und, ab 1950, Zwölfton, eine unverwechselbare Prägung erhielten. Dieser Ansatz spiegelt sich auch in seinen Streichquartetten und dem Streichtrio (SACD 1) wider.
Die Erhaltung des ungarischen Volkslieds, das eigentlich ausschließlich durch mündliche Überlieferung von Generation zu Generation weitergegeben wurde, war Sándor Veress so wichtig, dass er diesem Thema 1975 eine ausführliche Rundfunksendung im Schweizer Radio DRS (SACD 2/3) widmete: Der Komponist berichtet in diesem Rahmen persönlich über seine frühen Sammelreisen – besonders jene in die Moldau – sowie über Forschungsergebnisse der ungarischen Musikethnographie, mit der er ab 1935 als Assistent Bartóks an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften in engster Tuchfühlung gestanden hatte. Die Tondokumente, auf die sich Veress dabei stützt, waren Ende der Dreißigerjahre im Rahmen eines von Bartók initiierten, groß angelegten Schellack-Plattenprojekts erschienen. Veress kommentiert und analysiert diese Dokumente begeistert und fundiert und erkundet das mit jenen archaischen Bräuchen verbundene, musikalische Volksherz seiner ursprünglichen Heimat. Claudio Veress spricht mit Mirjam Wiesemann (SACD?3) über seine Kindheit und Jugend, die Beziehung zu seinem Vater sowie über dessen bewegtes, von Reisen geprägtes Berufs- und Privatleben. Er beleuchtet die ungarischen Wurzeln der Familie ebenso wie die Einflüsse von Volksmusiktradition und Zwölftonmusik auf das Werk seines Vaters und erzählt über die Liebe des Vaters zu Märklin-Eisenbahnen und zum Briefeschreiben.