Beschreibung
Die Beschäftigung mit dem Nachlass seines verstorbenen Vaters ruft im Erzähler von Frank Witzels autobiografischem Roman Erinnerungen an eine Kindheit wach, in der das Fernsehen den Vorabend erfindet. Eine Kindheit voller Disziplinierungsmaßnahmen wie Hausarrest, Tonband- und Fernsehverbot,
in der die Eltern ihrem Kind unwissentlich den Schrecken der einst selbst erlittenen Trennung als unentwegte Drohung weitergeben. Eine Kindheit, in der ein Sonntag klar strukturiert, die Kittelschürze für die Hausfrau unabdingbar und die von Erwachsenen erdachte Mondfahrt Peterchens ein Horrorszenario ist wie das der Mainzer Fastnacht. Wie sehr sich das individuell Erlebte und kollektiv Erfahrene gegenseitig durchdringen, zeigt sich, wenn Witzel gerade nicht die inszenierten Bilder aus dem Familienalbum »Unser Kind«, sondern vielmehr die ausgesonderten Aufnahmen mit der Frage zur Hand nimmt, ob nicht sie es sind, die Auskunft darüber geben können, wie etwas wirklich gewesen ist. Im unentwegten Zweifel am Wahrheitsgehalt der eigenen Erinnerungen zeigt sich Frank Witzel einmal
mehr als ein so nahbarer wie begnadeter Erzähler, dem es gelingt, über das Persönliche die Verfasstheit einer Nachkriegsgesellschaft in der neuen BRD zu erfassen.
Rezension
In »Inniger Schiffbruch« kommt nicht ein Satz aufgeblasen oder hochtrabend daher. Dieser Roman ist so komplex, weil Erinnern so komplex ist, weil es sich nur so darstellen lässt. Diese Form macht ihn zu etwas Besonderem in der gefälligen Gegenwartsliteratur, die viel zu oft nur Antworten geben will. Bei diesem Roman sind jedoch die Fragen das weit wichtigere Mittel. Ein Roman, der seine Leser lange beschäftigen wird.
Frank Witzel erzählt in seinem Roman, der eigentlich eine Autobiografie ist, mit rückhaltloser, mitunter therapeutischer Offenheit die Geschichte einer Kindheit im autoritären Geist der jungen Bundesrepublik.
Witzels Roman zieht (...) gerade deshalb in seinen Bann, weil in ihm das Erlebte auf heilsame Weise als Folge historisch-kollektiver Traumata verstehbar wird. (...) Literatur und Therapie, bei Frank Witzel stehen sie sich auf eindrucksvolle Weise sehr nahe.
»Er weiß nur zu gut, dass mit seinem ausladenden Erzählen und permanentem Zweifel daran sein Schiffbruch gewissermaßen vorprogrammiert ist. [...] Frank Witzel feiert vielmehr seinen Schiffbruch – in gekonnter Weise: glaubhaft und vor allem innig. Denn vom Grunde auf lässt sich alles erzählen.«
»Eine Kindheit mit Verschweigen, mit Züchtigung und Disziplin, mit Tonband- und Fernsehverbot – umrahmt von einer zur Schau getragene Makellosigkeit, die Denken und Fühlen ausklammerte. „Inniger Schiffbruch“ ist ein blankes Sozialporträt der 60er-Jahre, das seine Tiefe und Glaubwürdigkeit dadurch erhält, dass sich er selbst zur Verfügung stellt, ohne Wenn und Aber.«
»›Inniger Schiffbruch‹ ist ein bewegender Text, er sichert sich nicht durch scheinbare Schutzmechanismen ab. Aber er verharrt eben nicht im ›Verstummen‹, das die Eltern definierte und das Kind in Schockstarre versetzte. Er widmet sich in faszinierenden Kreisbewegungen etwas anderem, Entscheidendem: der ›Stummheit‹ nämlich, ›die dem Sprechen vorausging‹«
»Der Autor zielt mit seinem Schreiben ins Innerste, er bemüht sich nicht einmal im Ansatz um Fiktionalisierung oder andere literarisierende Ausweichbewegungen. Immer wieder reflektiert er darüber, was er gerade tut. Und der Sog, der den Autor erfasst, wie er sich selbst auf den Grund zu kommen versucht, überträgt sich dabei auch auf den Leser.«
»Es ist sprunghaft und episodisch angelegt, doch gerade so entsteht ein Bild – im Sinne eines dokumentarischen Realismus, der sich von den gemütvollen Jugenderinnerungen landläufiger Machart in einer imponierenden Weise absetzt.«