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Eine andere Stimme

Meine fremden Lieder - 1984-2004

Erschienen am 01.07.2004
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783936735901
Sprache: Deutsch
Umfang: 160
Auflage: 1. Auflage

Beschreibung

NACHDICHTER SIND HOCHVERRÄTER Wann fingen die Dinge an, Preise zu haben / Vielleicht als dem Dummkopf der Spiegel zersprang, heißt es in der Nachdichtung eines Liedes von Alejandro Filio. Der Weg des Liederdichters ist vorgezeichnet. Es geht zurück zu den Dingen, aber auch zu den Spiegeln und, nun ja, zu den Dummköpfen auch. Was kann er ausrichten gegen die? Was können die ausrichten gegen ihn? Er kann sich versagen. Sie können ihn verschweigen. Beides geschieht. Wer Macht will, muß manipulieren. In den Medienkonzernen sitzen die Müllerstöchter und müssen Gold zu Stroh verspinnen. Denn jede Nadel, die ins Fleisch, die ins Gedächtnis stechen könnte, soll im Heuhaufen verschwinden. Jede Stimme aus dem Reich des Bösen darin ersticken. Jede Liebe muß in Mitleid zersäbelt, jede Solidarität in Barmherzigkeiten zerhackt werden. Niemand darf kennen, was er nachher morden soll. Der Zusammenhang muß unsichtbar bleiben zwischen dem Leben der einen und dem Sterben der anderen. Nachdichter sind Hochverräter. Der Dummkopf benutzt den Spiegel nicht, um sich selbst zu erkennen, sondern um die Welt dahinter nicht sehen zu müssen. Dem Spiegel ist der Dummkopf egal. Aber der Weise auch. Was für eine Herausforderung! Putzen? Zerschlagen? Ignorieren? Oder verrücken? Und vielleicht selber: verrückt werden? Die Liebe. Das Lied. 28 Zeugen der Anklage. 28 Zeugen der Verteidigung. Kein Richter. Schon gar kein Staatsanwalt. Die Plädoyers klingen immer ähnlich, bei Wyssozki und Cockburn, Nohavica und Seferis, Gieco und Rodríguez. Was hat die Liebe damit zu tun, ob jemand Arbeit bekommt? Was verstört an der Vorfreude des Pärchens, das morgen Hochzeit halten will in Sarajevo? Ist es nicht unpoetisch, daran zu erinnern, daß zweitausend Menschen sich speisen ließen ein Jahr lang, ohne Erlöser nur von den Rüstungskosten einer Minute? Daß das schon der Krieg ist, ahnen nur die Bekriegten. Die Sänger auch. Sie gehören dazu. Frank Viehweg ist durch die Zeiten gestrauchelt. Schaute eben noch Shakespeare über die Schulter. Saß grad noch bei den Ungeborenen am Tisch. Jetzt wandert er über die Kontinente. Es ist der gleiche Weg, von dem er einmal schrieb: Kann doch sein, daß wir. noch werden, wer wir waren. Was bleibt denn den babylonisch Verstreuten, als einander die Stimme zu leihen, die Zärtlichkeit, den Kummer, das was gerade am meisten fehlt, damit sich das Bild der Erde vollendet, damit der Turm seine Krone erhält. Menschenwerk. Selbst Götter leihen wir einander, die uns nicht aus der Unschuld verstoßen und uns aus der Schuld nicht entlassen. Die aber zuständig sind für Wunder vieler Art und dafür, daß wir sie sehen inmitten der Abscheulichkeiten. Wir leihen uns die Legende von einer Erde, die Lippen gebärt, wo ein Liebender starb. Oder den Mythos von weißen Vögeln, die ihr Wissen um unsre Geheimnisse ewig und ruhelos macht. Viehwegs Liebende kämpfen. Seine Kämpfenden lieben. Das hat er mit all seinen Wahlverwandschaften gemein. Vielleicht beginnt hier die Vergewisserung. Daß am Ende des Weges nichts anderes beginnt als ein Weg. Inmitten der seelischen Dürrekatastrophen, für die es keine Welthungerhilfe gibt. Oder doch? Ich trag. all deine Wunden im Lied, ber hör lieber auf die Liebe, wie sie lacht. Das Buch, wenn es fertig ist, riecht nach Druckerschwärze. Ich denke mir, es wird neben einer Gitarre liegen. Ich sehe zwei Hände beim Stimmen. Beim Blättern. Vielleicht auch vier. Ich kann es hören. In den Dingen ist schon das Lied. HenryMartin Klemt Frankfurt/O. 2004

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