Beschreibung
„Fünfzig Prozent der Kosten für die betriebliche Weiterbildung werden zum Fenster rausgeworfen, doch niemand weiss, welche fünfzig Prozent es sind. Durch Weiterbildungs-Misserfolge steigt dieser Prozentsatz. Zugleich werden Mitarbeiter und Weiterbildungsverantwortliche enttäuscht und frustriert.“ (Pompetzki / Simon 1992, S. 20) Dieses Problem, dem sich die betriebliche Weiterbildung zu stellen hat, resultiert nicht nur daraus, dass der Nutzen von Weiterbildung schwer mess- und bewertbar ist, sondern setzt sich vielmehr aus einer Summe vieler verschiedener Faktoren zusammen. Aus diesem Grund sind vor allem die Personalentwicklungsabteilungen der Unternehmen gefordert, sich der Herausforderung zu stellen, geeignete Instrumentarien zu entwickeln, vorhandene zu optimieren und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine gezieltere und effektivere betriebliche Weiterbildung gewährleisten und praktizierbar machen. Formen und Aufgaben betrieblicher Weiterbildung sind stets abhängig von dem jeweiligen Paradigma, dem eine Gesellschaft im Hinblick auf Produktionskonzepte unterliegt. Somit „scheint doch die Entstehung und Entwicklung der betrieblichen Bildungsarbeit historisch eng verknüpft zu sein mit der Nachfrage nach entsprechenden, aus den Arbeitsbedingungen resultierenden Qualifikationsanforderungen“ (Pawlowsky / Bäumer 1995, S. 29). Aus diesem Grund ist eine nähere Betrachtung des Lean Production-Konzepts zur Beurteilung der Lage der betrieblichen Weiterbildung notwendig. „Die rasante Entwicklung und Verbreitung der Mikroelektronik in Produktion, Verwaltung und Dienstleistung erzwingt [.] nach und nach ein radikales Umdenken in der Weiterbildung“ (Strunk/Schulz 1993, S. 232) und auf Seiten der Unternehmen. Als ein Auslöser für die neue Denkweise ist das Buch „The machines that changed the world“ von J.P. Womack zu werten. Der Grund für die hieraus resultierende Diskussion über neue Wege der Produktion lag zu diesem Zeitpunkt an der veränderten wirtschaftlichen Lage der Industrieregionen Westeuropa und Nordamerika, die sich mit dem Aufkommen der japanischen Produzenten (vor allem im Automobilbereich) bereits seit den siebziger Jahren abzeichnete (vgl. Wernecke 1992, S. 39–40).
Als Folge der Erschöpfung der Märkte und der nahezu gegen Null gehenden Expansion mussten die Unternehmen mit flexiblen, auf den Kunden ausgerichteten Produktionsweisen reagieren. Somit mussten bisherige Konzepte, die auf den Angebotsmarkt ausgelegt waren, weichen, um der Wandlung zum Nachfragemarkt gerecht zu werden. Das bisherige Denken der Unternehmen 'Wie kann ich durch mein Produkt größtmöglichen Gewinn erzielen, indem ich die Produktions-, Lieferkosten und andere für den Produktionsvorgang wichtige Faktoren optimiere und die Kosten gering halte,' wird nun abgelöst durch das kundenorientierte Denken: „Wie können wir die Wünsche des Kunden überhaupt realisieren und wirtschaftlich rentabel gestalten?" (vgl. Weilnböck-Buck 1992, S. 150–161) Somit sind zwei Hauptkomponenten in der Konzeption der Lean Production zu erkennen:
– mögliche Auflösung des produktionstechnischen Dilemmas von Qualität, Zeit und Kosten als maßgeblicher Erfolgsfaktor
– Mobilisierung von versteckten Leistungsreserven trotz grundsätzlich gleicher Technologie (vgl. Dreher u.a., 1995 S. 6)
Beide Komponenten machen deutlich, dass bisher das aus Qualität, Zeit und Kosten gebildete Produktions-Dreieck immer einem gewissen Zwang unterlag. Bislang hatte eine Verbesserung der Qualität immer Auswirkungen auf die zeitliche und monetäre Komponente. Mit dem Konzept der Lean Production und der damit verbundenen Orientierung am Menschen als entscheidenden Faktor der Arbeitsgestaltung und -effizienz hoffte man, dieses Dilemma zu lösen. Lean Produktion ist folglich im Vergleich zu den tayloristischen / fordistischen Konzeptionen als Unternehmens-Gestaltungsmodell zu kennzeichnen, „das von völlig anderen Denkansätzen, Ausprägungen und Strukturen ausgeht, als die tradierten arbeitsteiligen, streng hierarchisch geprägten Organisationsmodelle“ (RKW, 1992, S. 12. Zitiert nach: Lang/Ohl 1993, S. 22). Als zentrales Element von Lean Production lässt sich die Erkenntnis herausstellen, dass „nicht die Technik, sondern der (produzierende) Mensch der entscheidende Faktor im Produktionsprozess (ist). Durch seine optimale Nutzung können produktive Reserven geweckt werden, die mit dem Einsatz von Technik allein nicht erzielt werden können“ (Bubenzer 1993, S. 22). Folglich ergeben sich durch das neue Paradigma nicht nur Konsequenzen, die den Produktionsprozess an sich betreffen, sondern auch die Arbeitsorganisation und die Unternehmensstrategie. Der Einsatz technischer Mittel und der Faktor Mensch erhalten einen neuen Stellenwert. Hält man sich das Ziel der neuen Produktionsweise vor Augen, [.] in einem Preiskampf um Weltmarktanteile in besserer Qualität eine größere und wachsende kundenorientierte Vielfalt von Produkten herzustellen und dies mit einem wesentlich geringeren Personal und Sachaufwand (Harney / Schuler 1993, S. 21), so wird bereits deutlich, dass dem Faktor Mensch und damit auch der betrieblichen Weiterbildung eine extrem große Bedeutung zukommt. Weiterbildung soll demnach einen Beitrag zur Erhöhung der Einsatzmöglichkeiten der Mitarbeiter leisten, Mobilität bei Veränderungsprozessen sicher stellen und Flexibilitätsfreiräume schaffen (vgl. Pawlowsky / Bäumer 1995, S. 80). Inhalte und Schwerpunkte von Lean Produktion können somit unter folgenden Schlagworten subsumiert werden:
– Komplexitätsreduktion
– Externe und interne Kundenorientierung
– Konzentration auf die Wertekette
– Kommunikation und Transparenz
– Mensch im Mittelpunkt der Arbeit
– Integrierte Betrachtung von Produkt und Produktionsverfahren
– Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (vgl. Dreher 1995, S. 9–13)
Aufgrund dieser veränderten Rahmenlage wird Weiterbildung zu einem strategischen Bestandteil der Unternehmensplanung, da sie den Mitarbeiter zukunftsorientiert und effektiv für die Erfüllung neuer Anforderungen qualifizieren soll. Bezogen auf die mit dem Paradigma 'Lean Production' verbundenen Veränderungen musste betriebliche Weiterbildung vor allem auf folgende Aspekte reagieren:
– Reduzierung von Spezialisierung
– Erhöhung der außer- und überfachlichen Qualifikationsanforderungen
– (tendenzielle) Entstandardisierung des Berufshandelns und
– Dezentralisierung und Enthierarchisierung von Problemlöseverantwortung (Arnold 1998, S.18)
Diese Entwicklung, verbunden mit der Forderung einer Reduktion von Kosten bei gleichzeitiger Steigerung der Effizienz von Weiterbildung, stellt die betriebliche Weiterbildungsarbeit seit geraumer Zeit unter einen Legitimations- und Handlungsdruck, denn immer mehr wächst der Zweifel, ob Weiterbildung tatsächlich dem betrieblichen Bedarf gerecht wird (vgl. Weiß, R. 1994 S. 11).
Grundlegende Vermutung dieser Arbeit ist es, dass betriebliche Weiterbildung, die bisher nur als 'Bonbon' angesehen wurde, ferner aber als eine in die Zukunft gerichtete Investition verstanden werden sollte (vgl. Regnet 1994, S. 39). Das Potential jedes Mitarbeiters muss daher erkannt und gefördert werden, um die Effizienz und die Produktivität des Arbeitsprozesses innerhalb eines Unternehmens zu steigern. Bei der Bewertung dieser These ergeben sich zwangsläufig Fragen, die in Bezug auf einen konkreten Ansatz zur Lösung dieses Problems, grundlegenden Charakter haben und somit fester Bestandteil dieser Arbeit sein müssen:
a) Wie kann die derzeitige Situation innerhalb der betrieblichen Weiterbildung bewertet werden?
b) Wie ist es möglich Weiterbildungsbedarf optimal zu ermitteln, um die Effizienz betrieblicher Weiterbildung zu steigern?
c) Welche Möglichkeiten und Instrumente haben Personalentwicklungsabteilungen zur Optimierung der Bildungsbedarfsermittlung?
d) Wie ist ein Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gewinnung des Bildungsbedarfs auf die Praxis zu erreichen?
e) Wie ist ein mögliches Konzept zur Verbesserung der betrieblichen Bildungsarbeit in die betriebliche Realität einzubetten.
Ausgehend von diesen Fragen soll sich der zentralen These dieser Arbeit angenähert werden, die davon ausgeht, dass es möglich ist, die Gegensätze zwischen ökonomischen Sichtweisen und der Perspektive der Berufs- und Betriebspädagogik zu lösen oder zumindest zu minimieren. Hierbei muss im Vorfeld der Entwicklung eines Lösungsansatzes zunächst die Ausgangssituation für ein solches Konzept betrachtet werden. Daher liefert der erste Teil dieser Arbeit eine Definition des Begriffs 'betriebliche Weiterbildung', um ausgehend von dieser Grundlage, die Anforderungen und Bedingungen erörtern zu können, die das derzeitige Produktionsparadigma „Lean production“ an die Berufs- und Betriebspädagogik stellt. Hier wird vor allem eine nähere Betrachtung der unterschiedlichen Sichtweisen des Menschen als „Humankapital“ erfolgen. Während betriebswirtschaftliche Anschauungen den Menschen als Objekt innerhalb des Produktionsprozesses ansehen, so steht die Berufs- und Betriebspädagogik mit ihrer auf das Individuum bezogenen Orientierung in einem klaren Gegensatz hierzu. Zur Auflösung dieses Gegensatzes ist eine deutliche Annäherung beider Sichtweisen unumgänglich, um der Forderung nach Effizienz und Wirtschaftlichkeit, welche ihren Ausdruck in der Bildungs-Controlling Debatte findet, gerecht zu werden (vgl. Rüdenauer 1993, S. 40 f.) Ferner muss eine Darstellung der möglichen Einbindung der betrieblichen Bildungsarbeit in die Unternehmensstrategie geschehen, da hier schon die Grundlage für den Erfolg oder Misserfolg betrieblicher Weiterbildung gelegt wird. Ziel ist es, bezogen auf diesen Aspekt, dem Leser deutlich zu machen, dass betriebliche Weiterbildung ihrer Rolle als wesentlicher Erfolgsfaktor nur dann nachkommen kann, wenn sie aus aufbauorganisatorischer Sicht ein fester Bestandteil innerhalb des Unternehmens ist. Die Aufbauorganisation betrieblicher Weiterbildung bildet die Basis für die Zusammenarbeit mit anderen Funktionsbereichen des Unternehmens. Ferner macht sie den Stellenwert der Weiterbildung für das Unternehmen deutlich (vgl. Pawlowsky/Bäumer 1995, S. 83 f.). Nur durch die adäquate Einbindung der betrieblichen Weiterbildungsabteilung in das Unternehmen kann eine zielgerichtete und strategieorientierte Umsetzung auf der operativen Ebene erfolgen. Für die Ablauforganisation betrieblicher Bildungsarbeit ist vor allem der erste Schritt innerhalb dieses Prozesses von Bedeutung. Die Bildungsbedarfsermittlung bildet die Basis für eine effektive und mitarbeiterorientierte Gestaltung von Weiterbildung, da durch sie die Bedarfe, Bedürfnisse und Defizite im Unternehmen ermittelt werden sollen (vgl. Liepmann 1993, S. 16). Erst auf dieser Grundlage kann Weiterbildung optimal zur Erreichung betrieblicher und individueller Ziele stattfinden. Aus diesem Grund bildet die Bildungsbedarfsermittlung einen Schwerpunkt dieser Arbeit. In Literatur und Praxis wird betriebliche Weiterbildung oft als 'Kernelement der Personalentwicklung' (Pompetzki / Walter 1992, S. 20) dargestellt. Aufgrund dieses Zusammenhangs und der nahezu gleichen Zielsetzungen beider Bereiche, muss eine Betrachtung der Personalentwicklung (und Auswahl) ebenfalls Bestandteil dieser Arbeit sein, da die Instrumente dieses Bereichs zur Ermittlung des Bildungsbedarfs besonders geeignet erscheinen. Personalentwicklung soll von ihrer Konzeption und Aufgabenstellung her die Bereiche Weiterbildung und Personalführung zu einer neuen Einheit zusammenfassen. 'Dabei werden sowohl Mitarbeiter- als auch Unternehmensinteressen berücksichtigt. Personalentwicklung ist nicht angebots-, sondern bedarfsorientiert und hat zum Ziel, allen Mitarbeitern eine lebenslanges Lernen zu ermöglichen' (Czisnik 1989, S.1). Nach der Darstellung der betrieblichen Weiterbildung und der Personalentwicklung soll anhand des Konzepts der 'aktiven Personalplanung' aufgezeigt werden, wie durch die Integration verschiedener Instrumente aus diesen Bereichen des Unternehmens sowohl globaler als auch individueller Bedarf optimal ermittelt werden kann, um innerhalb des Unternehmens einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu initiieren. Durch diese Konzeption soll das Unternehmen in der Lage sein, sich so weiterzuentwickeln, dass ein Bestehen am Markt gesichert ist. Grundlage für ein solches Bestehen ist die Fähigkeit zur Veränderung und Innovation. Der Autor verfolgt mit dieser Konzeption das Ziel, der Forderung gerecht zu werden, Unternehmen als lernende Organisationen zu verstehen. „Ein lernendes Unternehmen ist eine Organisation, die den Lernprozess der Mitarbeiter fördert und sich gleichzeitig selbst weiterentwickelt. Ein solches Unternehmen ist anpassungsfähig, ohne dass an entscheidenden Stellen Personalwechsel erfolgen muss. [.] Erfolgreiche Unternehmen sind lernfähige Organisationen. Sie versuchen, die unmittelbaren Probleme zu lösen und aus diesem Problemlösungsprozess zu lernen“ (Leiter 1996, S. 40). Grundlage für die lernende Organisation ist die Akzeptanz und Bereitschaft innerhalb des Unternehmens, sich weiterzuentwickeln. Diese Bereitschaft kann nur geweckt werden, wenn Weiterbildung nicht mehr nur rein angebotsorientiert, sondern problemorientiert vollzogen wird. Dies bedeutet, dass die Ermittlung des Weiterbildungsbedarfs nicht nur top-down sondern auch bottom-up geschehen muss, um die Motivation für Weiterbildung zu schaffen (vgl. Dybowski / Herzer 1989, S. 5). Um, ausgehend von denen im Vorfeld gewonnenen Erkenntnissen, das Konzept der 'aktiven Personalplanung' und seine Umsetzung in der Praxis besser verdeutlichen zu können, wird nachfolgend eine genaue Darstellung dieser Konzeption und der für sie typischen Phasen geschehen. Den Abschluss der Arbeit bildet eine Darstellung der Handlungsoptionen, die sich für die Berufs- und Betriebspädagogik ergeben. Hier soll gezeigt werden, welche Schritte und Umstellungen Betriebliche Weiterbildung zu vollziehen hat, um ihrer Rolle und Bedeutung gerecht zu werden.