Beschreibung
Albrecht Schaeffers Roman Helianth. Bilder aus dem Leben zweier Menschen von heute und aus der norddeutschen Tiefebene, in neun Büchern dargestellt, erschien zuerst 1920 im Insel-Verlag in drei Bänden mit einem Umfang von zusammen etwa 2500 Seiten. Das Werk markiert einen End- und Wendepunkt der deutschen Literatur: Der letzte groß angelegte Entwicklungsroman, der, von der Form her ins 19. Jahrhundert verweisend, die literarischen Mittel des 20. benutzt – zum Teil vorwegnimmt. Nicht zuletzt wegen der wegweisenden psychologischen Zeichnung der Charaktere und des expliziten Eingehens auf Probleme der Psychoanalyse nannte Sigmund Freud den Autor einmal in einem Brief »meinen Dichter«.
Im Mittelpunkt der Handlung steht der Prinz Georg Trassenberg, dessen Entwicklung durch alle Selbstzweifel hindurch bis zum Erreichen von Eigenständigkeit und zur Übernahme der Regierungsverantwortung den Roman bestimmt.
Daneben ist der Helianth jedoch auch ein Zeitroman, der tatsächlich das »Leben zweier Menschen von heute« umfassend darstellt. Er war damit der Roman einer Generation, der um 1900 Geborenen. Ernst Kreuder bemerkt, »daß die Generation, die vor dem ersten Weltkrieg heranwuchs, im Helianth sich selbst wiederfand.« Und der Romanist Leo Spitzer wies bereits 1928 auf die Modernität der Schaefferschen Prosa und auf die stilistischen Ähnlichkeiten zum Werk Marcel Prousts hin.
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Albrecht Schaeffer hat den Helianth im New Yorker Exil 1948 noch einmal neu geschrieben. Diese Fassung, die sich im Nachlaß Schaeffers im Deutschen Literaturarchiv in Marbach befindet, erscheint nun zum erstenmal im Druck (einen Auszug veröffentlichte 1950 Alfred Döblin in der Zeitschrift Das goldene Tor). Die Neubearbeitung strafft die Handlung, ohne ihr etwas von der ursprünglichen Bildungs- und Entwicklungsthematik zu nehmen. Getreu seinem versachlichten Spätstil präzisiert Schaeffer jedoch die mitunter überladene und preziöse Sprache und betont zunehmend die historische Dimension der Handlung.
Durch die Edition des Helianth soll nicht allein immer wieder formulierten Anregungen, Schaeffers Bücher nachzudrucken, und den zahlreichen Hinweisen auf die Bedeutung des Autors – von Hans Hennecke und Peter Härtling bis zu Sven Hanuschek, Adolf Muschg, Henning Rischbieter und Bernd Rauschenbach – Genüge getan werden. Es geht um mehr. Ein Autor, der einmal sehr erfolgreich war und der die deutschsprachige Literatur dieses Jahrhunderts zum Teil geprägt hat, soll durch sein bestes Werk aus dem Strom des Vergessens geborgen werden. Nicht als eine Verbeugung vor der Vergangenheit, sondern zur Bereicherung der Gegenwart.
»Schaeffer war ein Kamerad auf dem steinigen Weg der Literatur.«
Hans Henny Jahnn, Grabrede für Albrecht Schaeffer, 1950
Autorenportrait
Albrecht Schaeffer, 1885 im westpreußischen Elbing geboren, wuchs in Hannover auf und wurde nach dem abgebrochenen Studium zu einem produktiven Schriftsteller, dessen umfangreiches Werk Romane und Erzählungen ebenso umfaßt wie Übersetzungen, Lyrik, Dramen und Versepen. 1939 er sich zur Auswanderung in die USA, um seinen Kindern »die Vergiftung ihrer Seelen durch die Pestilenz« des Nationalsozialismus zu ersparen. Erst 1950 wird durch die finanzielle Unterstützung einer Freundin die Rückkehr nach Deutschland möglich, und Schaeffer erhält die einzige öffentliche Anerkennung seines Lebens: in Hannover verleiht man ihm den Niedersächsischen Staatspreis für Literatur. Elf Tage später erliegt Schaeffer in München während einer Straßenbahnfahrt einem Herzinfarkt.
»Aber genug ich möchte mich hier nicht wiederholen es steht schließlich Alles in meinen Büchern die praktischen Handübungen, wie die theoretischen Aufsätze, die guten Lehren, und die bösen Beispiele.
Einzig das sei noch einmal betont, wie das Zustandekommen solcher umfangreichen Gebilde nicht wenig erfordert: die Kenntnis der für uns zuständigen, anregenden Vorgänger was in meinem Fall den Zeitraum bedeutet, von LUKIAN und PHILOSTRATOS bis WERFEL und SCHAEFFER.«
Arno Schmidt