Beschreibung
Trotz der gegenwärtigen Konjunktur der Kunst und des Ästhetischen hat sich seit Adorno und Heidegger keine übergreifende, in ein philosophisches Gesamtkonzept eingebettete ästhetische Theorie mehr ausbilden können und die Kunst scheint sich im Durchspielen schon gewonnener Positionen zu erschöpfen. Die Verabschiedungen der Postmoderne haben nur gezeigt, daß sich bereits zu Beginn der Moderne ineinander verhakte Positionen ausgebildet haben, zwischen denen nur changiert werden kann, ohne sie verlassen zu können. Das ist Anlaß, einen Blick von der aktuellen Lage auf den Beginn der modernen Kunst zurückzuwerfen. An der Jahrhundertwende lassen sich, parallel zum Aufkommen neuer Bilderzeugungstechniken, zwei Alternativen ausmachen. die auf das Überborden des Imaginären, d. h. auf das Verschwinden des ästhetischen Scheins reagiert haben: die im Hinblick auf freie rationale Konstruktion vollzogene Reinigung des Bildraums zur leeren Fläche (Malewitsch) und, gegenläufig dazu. aber schon zuvor einsetzend, die Energetisierung des Bildraumes, das Sprengen der Formen und der klassischen Ordnung sowie die Intensivierung der Farblinie als Medium des Ausdrucks (van Gogh). Beide Formen, die Mimesis und die Mimikry am Schrecken des von allen kulturellen Codes befreiten Bildes, das zum Bildschirm eines ebenso entregelten Imaginären wurde, sind durch eine weitere künstlerische Strategie realisiert worden. Sie vollzog den Austritt aus dem Bild und zog sich, nach der vergeblichen Destruktion der Institution der Kunst, in die Ansage, in die Ironie und das Spiel mit den kulturellen Codes zurück bzw. ersetzte die Ikone durch das Fetischobjekt (Duchamp). Alle drei Strategien - die Negation, die Implosion und die Ironisierung des Imaginären bzw. die Ästhetisierung des Realen - beherrschen noch immer, vielfach ineinander verwoben, die künstlerische Produktion. Die nur symbolisch mit den Namen van Gogh, Malewitsch und Duchamp verzeichnete Konstellation ist der Ausgangspunkt von Reflexionen zu einer ästhetischen Theorie der Moderne. Konträr wird diskutiert, was gegenwärtig als Leerlauf der Imagination bei gleichzeitig inflationärer Besetzung der Bildschirme geschieht.
Autorenportrait
Florian Rötzer, geb. 1953, lebt als freier Autor in München, Mitarbeiter beim Projekt Telepolis (München). Veröffentlichungen (u.a.): Französiche Philosophen im Gespräch, München 1985; Kunst Machen. Gespräche und Essays, München 1990 (zus. mit Sara Rogenhofer); Digitaler Schein, Frankfurt a.Main 1991; Philosophen-Gespräche zur Kunst, München 1991; Strategien des Scheins. Kunst – Computer – Medien (zus. mit Peter Weibel), München 1991; Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk, München 1993 (zus. mit Peter Weibel); Künstliche Spiele, München 1993 (zus. mit Georg Hartwagner und S. Inglhaut); Vom Chaos zur Endophysik, München 1994; Schöne neue Welten?, München 1995; Die Telepolis. Urbanität im digitalen Zeitalter, Mannheim 1995.
Dietmar Kamper (1936–2001), Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin. Mitherausgeber der Zeitschrift Tumult und der Reihe Historische Anthropologie, Berlin 1988ff. Mitherausgeber der Internationalen transdisziplinären Studien zur Historischen Anthropologie, zahlreiche Veröffentlichungen zur Geschichte der Einbildungskraft, zur Soziologie der Imagination und den Diskursen der Postmoderne.
Hans Matthäus Bachmayer, Dr. phil. (1940–2013), Studium der Bildhauerei in München und der Philosophie in Frankfurt a. M., mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland. Mitglied der Gruppe Wir (1962–1965), Spur-Wir (1965), Geflecht (1965–1968), Kollektiv-Herzogstraße (1975–1978). Veröffentlichte mehrere Bücher zu Fragen der modernen Kunst und Kunstproduktion, u.a. Zur Phänomenologie der Kunst und des Nihilismus (1982). Lebt als Bildhauer, Maler und freier Schriftsteller in München.
Inhalt
Einleitung: Zum Thema
Dietmar Kamper: Das Dreieck: van Gogh, Malewitsch, Duchamp – Zehn überholte Thesen
Dietmar Kamper: Die Retraumatisierung eines Phantasmas – Kunst als körperlicher Widerspruch gegen die Unsterblichkeit des Geistes
Hans Matthäus Bachmayer: Ek-stase, Implosion, Anartiste – van Gogh, Malewitsch, Duchamp
Peter Bürger: Van Gogh und die Moderne
Marc Le Bot: Der Künstler und der dandy
Hans Belting: »Das Kleid der Braut« – Marcel Duchamps »Großes Glas« als Travestie des Meisterwerks
Thierry de Duve: Autorschaft nackt, entblößt, sogar
Florian Rötzer: Schwierigkeiten mit der Kunst – einige Variationen
Peter Weibel: Von der Verabsolutierung der Farbe zur Selbstauflösung der Malerei
Gert Mattenklott: Ähnlichkeit – Jenseits von Expression, Abstraktion und Zitation
Dieter Hoffmann-Axthelm: Herabhängung des Begriffs der Moderne
Sigrid Schade: Ästhetiken und Mythen der Moderne – Hegels Erbe in der Selbst-Begründung nicht-gegenständlicher Malerei. Eine diskurs- und medienanalytische Skizze
Norbert Bolz: Bilderlosigkeit und Bilderflut
Karlheinz Lüdeking: Ding – Gegenstand – Zeichen
Schlussdiskussion: Zum Standort ästhetischer Theorie