Beschreibung
VORWORT
Das vorliegende Lautenbuch wendet sich an alle, die sich ernsthaft mit dem historischen
Renaissance-Lautenspiel befassen möchten.
Die Überlegung, wie die Menschen der damaligen Zeit an das Lautenspiel herangingen, war der
Leitgedanke bei der Zusammenstellung dieser Schule. Das Instrument gehörte quasi in jeden
besseren Haushalt, und es war selbstverständlich, darauf die bekannten Lieder und Tänze sowie
zunehmend auch freie Formen wie Fantasien spielen zu wollen, was die große Anzahl an
Tabulaturdrucken aus jener Zeit belegen.
Das natürliche Empfinden von musikalischen Linien und polyphoner Mehrstimmigkeit war
allgemeiner Standard und wurde in den Lautenschulen von Hans Newsidler, Hans Judenkünig und
Hans Gerle (etwa 1520 bis 1550) vorausgesetzt. Dass dies alles deutsche Quellen sind, ist der
sprichwörtlichen Gründlichkeit unserer Vorfahren zuzuschreiben, alles genau zu erklären – ein
glücklicher Umstand, der uns ein deutliches Bild der „Spieltechnik“ jener Zeit erschließt.
In diesem ersten Buch der Lautenschule geht es um das ein- und zweistimmige Spielen auf der
Laute. Viele der hier erlernten Lieder kommen im zweiten Buch in dreistimmigen Fassungen
wieder.
Uns ist heute das lineare Hören meist ungewohnt, auch kennen wir kaum die Lieder der Zeit. So
ergibt sich die Notwendigkeit, dem einstimmigen Spiel – und damit zugleich dem Erlernen der
Lieder – besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Das Singen war Grundlage der Musik jener Zeit. Das Singen ist daher auch der natürlichste Weg, in
diese Musik einzudringen. Wer auf der Laute eine Melodie „singen“ kann, hat leichten Zugang zu
der gesamten Lautenmusik der Renaissance. Es wird deshalb dringend empfohlen, am Anfang des
Buches nichts zu überspringen – auch wenn man das einstimmige Spiel zu beherrschen glaubt. Bei
den Liedern mit Oberstimme ist es sehr empfehlenswert, diese auch zu spielen und/oder zu
singen, um den natürlichen Fluss der Melodien zu fühlen.
Die ausgewählte Literatur besteht ausschließlich aus Liedern und Tänzen des frühen 16.
Jahrhunderts. Technische Studien und Etüden aus heutiger Zeit wurden nicht verwendet, sondern
nur was in den alten Quellen diesbezüglich angeboten wird.
Die Anmerkungen und Hinweise vor oder nach den einzelnen Stücken sind so kurz wie möglich
gehalten, sind aber umso wichtiger. Laute spielen ist ein spannendes Erforschen und Entdecken.
Um die Lautenmusik aus ihrer Zeit heraus zu verstehen, ist es wichtig, das Gefühl für ihr kulturelles
Umfeld zu vertiefen. Ganz besonders zeigt sich dieses in den Gemälden, die zu diesem Zweck
eingefügt sind. Doch auch die Ausdrucksweise in den alten Lautenbüchen sowie die vielen
Faksimiles vermitteln ein lebendiges Bild jener Epoche. Sehr hilfreich ist es, die Texte laut zu lesen
– daraus erschließt sich oft erst die Bedeutung.
Ganz entscheidend ist, zu verstehen, dass es damals keine Normen gab. Alles konnte so oder auch
anders sein. Die Schreibweise in den Quellen belegen dies deutlich. Deshalb ist eine
Offenheit bei jeder Beschäftigung mit historischen Quellen angesagt.
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Wer von der Gitarre zur Laute kommt, sollte wie an ein neues, fremdes Instrument herangehen,
auch wenn die linke Hand sich mit dem Greifen gut auskennt. Der Anschlag der rechten Hand ist
jedoch ganz anders und erfordert besondere Aufmerksamkeit.
Als Instrument für die Musik des 16. Jahrhunderts ist eine 6- oder 7-chörige Laute besonders
geeignet. Wer ein 10-chörises Instrument besitzt, kann die letzten 3 Bass-Chöre mit Filz o.ä.
abdämpfen. Dies erhöht die Klarheit der polyphonen Stimmführung.
Im Unterschied zur ersten Auflage dieser Schule wird durchweg die französische Tabulatur
verwendet. Den italienischen Liedern ist daher eine Übertragung in diese beigefügt worden. Es
ergibt sich aber die Möglichkeit, anhand der vielen Lieder aus dem Druck von Franciscus
Bossinensis, auch die italienische Tabulatur zu erlernen.
Die deutsche Tabulatur wird im Anhang erklärt, dazu sind viele Stücke des vorderen Teils im
Original wiedergegeben.
Heute tragen viele die Laute an einem Band, wodurch die Haltung freier wird.
Im Übrigen lege ich allen Lautenspielern ans Herz, sich auch mit anderer Renaissancemusik zu
beschäftigen, vor allem mit Singen, aber auch mit dem Spielen alter Streich- und/oder
Blasinstrumente.
Ich übernehme hier einen Absatz aus dem Vorwort von Matthäus Waissel 1592
AN DEN LESER
Gunstiger lieber Leser / Diesen unterricht von der Tabulaturn und Applocation der Lauten
zu schreiben / hat mich verursacht und bewogen / Weil ich gesehen: Zum ersten / wie
großer mangel in der Application bey vielen / auch ziemlich geübten / befunden wird: Zum
andern / das ihrer viele / so auff der Lauten schon etwas begrieffen / und ihrer
ungelegenheit nach / nicht allezeit einen Meister haben können / also davon verhindert
und abgehalten werden. Auff das nu nicht allein / diejenigen / so auff der Lauten ziemlich
geübt / und doch übel appliciren / worauf es ihnen mangelt / recht verstehen: sondern
auch die andern in ermangelung eines Meisters / weitere nachrichtung auff der Lauten zu
lernen und fort zu fahren / haben / So habe ich einen gründlichen / und vollen unterricht
von der Tabulatur unnd Application der Lauten / wie dieselben in Deutsch und Welschland
von berümbten Meistern gelernet / ganz deudtlich / dergleichen (meines erachtens) zuvor
nicht gesehen / beschrieben / und in den Druck gegeben. Wiewohl aber fast schwer / und
mühesam / diese dinge vollkömlich / und eigendlich zu beschreiben / so hoffe ich doch /
mit Gottes hülfe / das fürnemeste / und nötigste / durch Regeln / und Exempeln der
massen an den Tag zu geben / das das andere alles von sich selbst folgen / und vielen
damit solle gedienet sein.……………….
Wollest dir solche meine geringe / und doch wolgemeinte Arbeit gefallen lassen / unnd
derselben nützlich gebrauchen.
Eitorf 2024 Kristian Gerwig