Beschreibung
Das Recht besteht nicht nur aus Gesetzessammlungen, sondern umfasst vielmehr auch das, was die Juristen dazu sagen, wenn sie die Texte sprechen lassen. Die Autonomie, die sie im Rahmen die-ser Auslegungsfunktion geniessen, verschafft ihnen eine kreative Macht: die Anwendung der Gesetze bedeutet gleichzeitig eine Normerfindung. In diesem Sinne beinhaltet diese - wenn auch relative - Autonomie eine politische Dimension - soweit man die Politik als legitime Gewalt definiert, neue Bedeutungen in den sozialen Regelungsrahmen einzubringen. Die juristische Epistemologie muss diesem Umstand Rechnung tragen, um diese Dimension direkt in die Definition des als permanenter Normerzeugungsprozess verstandenen Rechts und nicht als festgelegte Gesamtheit von zwingenden allgemeinen Regeln, die durch ihre Konkretisierung der politischen Willkür entzogen würden, zu integrieren. Dieser von der Hermeneutik angeregte Ansatz fordert von Neuem eine Überprüfung der Funktionsweise des Rechtssystems als grundlegende Garantie im Rechtsstaat.
Dieses Buch beschreibt zuerst den jeder Rechtsanwendung eigenen Freiraum, indem es die drei Grundprinzipien - Legalität, öffentliches Interesse und Gleichheit - einer kritischen Analyse unterzieht. Die daraus zu ziehenden erkenntnistheoretischen Schlüsse zeigen die Macht der Juristen als Beteiligte am eigentlichen ju-ristischen Phänomen auf. Diese Erkenntnisse zwingen, die Definition der Norm zu überprüfen, und führen dazu, den Stellenwert des Rechts und seiner 'Interpreten' innerhalb der Institutionen des Rechtsstaates neu zu beurteilen. Gleichzeitig erlauben sie es aber auch, den auf der Theorie des Verhältnisses von Gerechtigkeit und Recht liegenden ideologischen Schleier zu lüften.