Beschreibung
In der Vergangenheit wurde eine grundsätzlich ablehnende Haltung der evangelischen Kirche gegenüber der Weimarer Republik vielfach aus der besonderen Tradition des Protestantismus erklärt, aus der eine enge Bindung an den personalen Obrigkeitsstaat resultiert hätte. Dementgegen plädiert Motschmann dafür, auch die beachtlichen Ansätze einer positiven Gestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat Gehör finden zu lassen und unter Berücksichtigung des Lebenshorizontes in seiner räumlichen und zeitlichen Begrenztheit dieses einseitige Bild der evangelischen Kirche durch eine Reihe von Fragen aufzubrechen: Weshalb hätte die Behandlung der Kriegsschuldfrage, des Untergangs der deutschen Monarchie oder des Versailler Vertrages seitens der evangelischen Kirche Spannungen im Verhältnis zum Staat erzeugen sollen, wo doch maßgebliche Vertreter dieses neuen Staates und der tragenden Parteien sich genau in derselben Weise zu diesen Problemen äußerten? Muss aus der Tatsache, dass sich das Verhältnis der katholischen Kirche und der Freikirchen zum Staat von Weimar zunächst keineswegs positiver gestaltete, obgleich diese nicht in einer so engen Beziehung zur untergegangenen Monarchie gestanden hatten wie die evangelische Kirche, geschlossen werden, dass die Ursachen für das gespannte Verhältnis der evangelischen Kirche zum Staat nicht allein in deren Haltung zu suchen waren? Hätte ob der Überbetonung des Staatsgedankens in Auslegung von Röm. 13 die Tradition des deutschen Protestantismus nicht auch zu durchaus günstigen Voraussetzungen zu einer positiven Gestaltung des Verhältnisses zum Staat führen können und hätte eine Verständigung mit diesem nicht prinzipiell schon deshalb möglich sein müssen, weil der Gedanke der Trennung von Kirche und Staat in der evangelischen Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts vielfach diskutiert worden war?