Beschreibung
Mit dem politisch forcierten Transformationsprozess zur Dekarbonisierung des Energiesystems gehen weitreichende Veränderungen der Last- und Erzeugungsstruktur und in der Folge eine verstärkte Beanspruchung des elektrischen Übertragungsnetzes einher. Zugleich werden dem Netzengpassmanagement im Übertragungsnetz durch die Dezentralisierung der Stromerzeugungsstruktur und die zunehmende Kopplung des Strom-, Wärme-, Gas- und Verkehrssystems zusätzliche Flexibilitätsoptionen zur Verfügung gestellt. Weiterhin erhöht sich die Anzahl netzbetrieblicher Freiheitsgrade durch den Ausbau von HGÜ-Systemen und Phasenschieber-Transformatoren sowie die Implementierung kurativer Betriebsführungskonzepte. In dieser Arbeit wird ein Verfahren entwickelt, das den Betrieb elektrischer Übertragungsnetze unter Berücksichtigung zukünftiger Freiheitsgrade im Kontext von Planungsprozessen und Energiesystemanalysen abbildet. Dabei werden netzbezogene und marktbezogene sowie sektorenübergreifende Freiheitsgrade auf Übertragungsnetzebene und aggregiert auf Verteilungsnetzebene betrachtet. Ebenso werden sowohl ein präventiver als auch ein kurativer Maßnahmeneinsatz abgebildet und die Anwendbarkeit auf realskalige Übertragungsnetzstrukturen sichergestellt. Um die hohe mathematische Komplexität der Problemstellung zu reduzieren, ist das Gesamtverfahren in zwei Teilverfahren gegliedert. Das erste Teilverfahren zielt auf eine Vorauswahl geeigneter Topologie-Schaltmaßnahmen ab, auf denen das zweite Teilverfahren aufbaut. In diesem erfolgt unter Verwendung einer linearen Approximation der Leistungsflussänderungen die Optimierung des präventiven und kurativen Einsatzes der netz- sowie marktbezogenen Maßnahmen zur Gewährleistung der Systemsicherheit. Im Rahmen exemplarischer Untersuchungen wird das entwickelte Verfahren auf ein Szenario des europäischen Energiesystems im Jahr 2035 mit Fokus auf das deutsche Übertragungsnetz angewendet. In den Untersuchungen werden unterschiedliche Betriebsführungskonzepte analysiert und der Einfluss neuartiger netzbetrieblicher Freiheitsgrade auf den Redispatch-Bedarf quantifiziert. Die Untersuchungen zeigen, dass sektorenübergreifende und dezentrale Flexibilitätsoptionen in erheblichem Umfang eingesetzt werden, um die Abregelung erneuerbarer Energien um bis zu 35% zu substituieren. Der kurative Einsatz netz- und marktbezogener Maßnahmen ermöglicht eine signifikante Reduktion des präventiven Redispatch-Bedarfs um bis zu 72%. Aus den Untersuchungsergebnissen lässt sich schließen, dass die Wirksamkeit des kurativen Maßnahmeneinsatzes wesentlich von der betrieblichen und technischen Ausgestaltung des Betriebsführungskonzepts abhängt.