Beschreibung
Seit Jahrzehnten simuliert der Katastrophenpsychologe Dörner Unfälle
und Katastrophen, politische, technische, ökonomische, z. B. in Städten,
Staaten, AKWs. Und zwar, um die Desaster zu verhindern. Er schult seine
Versuchspersonen zu diesem guten Zwecke nach. Sein legendäres Erstversuchsland
hieß Tanaland, man könnte heutzutage meinen, es sei Griechenland.
Seine Erstversuchsstadt hieß Lohausen, man könnte heutzutage in der
Realität meinen, es seien die bankrotten Gemeinden und Regionen. Und
aus Tschernobyl, das Dörner genau rekonstruiert hat, wurde in der jetzigen
Realität eben Fukushima.
Der sogenannte Held des Romans „Komm raus da“, der hilfsbereite, hilfsbedürftige, lebensfrohe Uwe, Uwe wie Auweh, Held heißt freier Mensch, erlebt am laufenden Band Paraphysisches, Anomien, Ausgeliefertsein, Ausweglosigkeiten, groteske Katastrophen, organisierte Verantwortungslosigkeiten in Hilfseinrichtungen, ein Milgram- und ein Dörnerexperiment nach dem anderen. Einmal etwa will er sein Eigentum einer hochanständigen Hilfseinrichtung zur Verfügung stellen und wird anständig betrogen; und einmal wird ihm über einen anderen Menschen gesagt, er werde nicht überleben, und wenn doch, dann ohne jede höhere geistige Fähigkeit, und dann, dass dieser Mensch einfach nicht therapierbar, nicht rehabilitierbar sei. Aber es ist dann zum Glück alles nicht wahr, aber es ist ein sehr anstrengender Kampf, damit das alles nicht wahr ist. Um dieses und andere Leben eben ein Kampf. Einmal zum Beispiel erlebt er mit, wie ein anderer Mensch in ein berüchtigtes Heim verschleppt wird, in das er nie und nimmer gehört, niemand gehört dorthin, und sie holen ihn da raus, und das riesige Heim wird später wegen der Grausamkeiten darin geschlossen.
„Komm raus da“, geschrieben inmitten der schwer angst- und suchtkranken Gegenwartsgesellschaft, ist eine furchtlose Inventur nach Art der Anonymen Alkoholiker – eine Vorgehensweise, unaufdringliche Fehler- und Unfallkultur, durch die sie Einsicht gewinnen in das, was sie selber falsch gemacht und wem sie Schaden zugefügt haben und wie sie das wieder in Ordnung bringen – und handelt von den Hilfseinrichtungen, die jeder Mensch im Laufe seines Lebens braucht, wenn nicht er selber, dann jemand, den er liebt. Und von Menschen wie du und ich, die aber von Institutionen oder Hilfseinrichtungen oder ihren Mitmenschen wie du und ich in schwieriger Situation aufgegeben, im Stich gelassen, verloren worden sind und die jedoch wider Erwarten nicht zugrunde gegangen sind. Und davon, wie sie das gemacht haben, besser gesagt: warum sie Glück hatten. Denn die Glücksfälle gibt es auch.
Die Literatur hat ein feines Sensorium ausgebildet, österreichische Besonderheiten zu beschreiben.
Anton Thuswaldner
Autorenportrait
Egon Christian Leitner: Geboren 1961 in Graz, Studium der Philosophie und Klassischen Philologie. Kranken- und Altenpflege, Flüchtlingshilfe. Erhält 2013 den Literaturförderungspreis der Stadt Graz für seine mutige literarische Chronik zur österreichischen Zeitgeschichte – Des Menschen Herz. Publikationen (Auswahl): Bourdieus eingreifende Wissenschaft. Handhab(ung)en, Wien: Turia + Kant, 2000; Die Judokunst des Pierre Bourdieu, in: Forum Stadtpark (Hg.), Von mir nach dort, Wien: edition selene, 2002; Schutz & Gegenwehr. Menschenleben und Widerstandswissen von Hesiod bis Bourdieu, Wien: Turia + Kant, 2002; Durch Menschenhand. Die Banalität des Guten, in: H. Halbrainer, Ch. Ehetreiber (Hg.), Todesmarsch Eisenstraße 1945, Graz: Clio, 2005; Dazwischengehen (Ein Interview), in: Petzold, Orth, Sieper (Hgg.), Gewissensarbeit, Weisheitstherapie, Geistiges Leben. Werte und Themen moderner Psychotherapie, Wien: Verlag Krammer, 2011