Beschreibung
Wie haben Staatsanwälte und Richter am Sondergericht bei dem Landgericht in
Saarbrücken das NS-Recht ausgelegt, Bürgerinnen und Bürger angeklagt und dann
über diese Recht gesprochen in der NS-Zeit des Saarlandes, also nach der Volksabstimmung
am 13. Januar 1935 bzw. der „Rückgliederung ins Deutsche Reich“ am
1. März 1935 bis zum Kriegsende im Jahr 1945? Das wollte unsere Projektgruppe
aus 23 Richtern/innen, Staatsanwälten/innen und Ministerialbeamten/innen untersuchen
und für Interessierte anschaulich machen. Wir haben für diesen Dokumentationsband
daher 71 Strafverfahren nach einheitlichen Kriterien übersichtlich aufbereitet,
die Sachverhalte anschaulich dargestellt und für die Leserinnen und Leser
aussagekräftige Aktenauszüge, oftmals mit zugehörigen Fotoscans aus den Originalakten,
ausgewählt.
Die Strafverfahren der ersten Jahre nach der Wiedereingliederung des Saarlandes in
das Deutsche Reich sind geprägt durch Äußerungsdelikte und das Abhören verbotener
Sender, also insbesondere von Verstößen nach dem Gesetz gegen heimtückische
Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz von Parteiuniformen sowie nach
der Rundfunkverordnung. Die Verfahren in den sechs Kriegsjahren 1939 bis 1945
haben daneben auch Verstöße gegen neue kriegsbezogene Delikte zum Inhalt wie
z.B. den verbotenen Umgang mit Kriegsgefangenen, Verstöße gegen die Kriegswirtschaftsverordnung
(Milchfälschung, Schwarzschlachten, Fälschung von Lebensmittelmarken
u.a.), das Abhören feindlicher Sender oder das Plündern ausgebombter
Häuser.
Der Dokumentationsband stellt den Leserinnen und Lesern für die damalige Lebensweise
und Nöte der Menschen, für die Geschlechterrollen, für die Bürgerrechte
und –pflichten, für die rasse- und erbbiologischen Vorstellungen, für die Staatsorganisationsvorstellungen
in der NS-Ideologie sowie für die Rechtsmechanismen des
NS-Staates aussagestarke Auszüge aus den Sondergerichtsverfahren zur Verfügung.
Sie erhalten die Gelegenheit, die jeweiligen Sachverhalte, Angeklagten, Staatsanwälte
und Richter sowie die Verfahrensgänge, Vollzugshistorie und Ereignisse nach
Kriegsende selbst nachvollziehen zu können und die richterlichen Urteilssprüche
und Begründungsauszüge im Original zu lesen. Auch, ob in den Akten ggf. eine
Einflussnahme des Reichsjustizministeriums, des Oberreichsanwalts beim Reichsgericht
oder des Reichsgerichts selbst auf das saarländische Sondergericht und die
Staatsanwaltschaft erfolgte, wird für die Leserinnen und Leser transparent. Die Lektüre
der Anzeigen, Vernehmungsprotokolle, ärztlichen Gutachten sowie der staatsanwaltschaftlichen
und gerichtlichen Entscheidungen verdeutlicht, wie leicht und
wie sehr die Justiz zum mehr oder minder engagierten Werkzeug menschenverachtender
Ideologien werden kann und sich dazu auch machen ließ.