journal culinaire. Kultur und Wissenschaft des Essens
No. 27: Reifung als Kulturleistung / vergriffen; PDF über Webseite oder Verlag erhältlich
Wurzer-Berger, Martin / Vilgis, Thomas
Erschienen am
06.11.2018
Beschreibung
Es ist tatsächlich passiert: Am 26. Mai 2018 wurde das Journal Culinaire bei den Gourmand World Cookbook Awards im chinesischen Yantai mit dem Titel »Best in the World« ausgezeichnet. Dass unser Projekt das Siegertreppchen erklomm, ist Bestätigung und Ansporn zugleich. Wir freuen uns
sehr – und reichen die Trophäe mit einigem Stolz an unsere engagierten Autorinnen und Autoren weiter!
Auch für die vorliegende 27. Ausgabe des Journal Culinaire haben sich über ein Dutzend Beitragende begeistern lassen. Reifung ist in der aktuellen kulinarischen Diskussion kein zentrales Thema. Zu Unrecht, wie sich eindrücklich zeigt: Das Themenfeld hat viele spannende und auch überraschende Facetten. Die Frische ist in der Gastronomie wie im Lebensmittelhandel der weitaus positiver besetzte Begriff. Er eignet sich für die werbende Beschreibung von Lebensmitteln deutlich besser als Reife. Doch schon bei den ersten Reflexionen wird die Bedeutung der Reife greifbar. Nicht Reife und Frische sind ein Gegensatzpaar, sondern Reife und Unreife. Sofort wird es überaus schwierig und komplex: Wann ist ein Apfel wirklich reif? Wie erkenne ich eine reife Kartoffel? Wann ist Fleisch »reif« für den Verzehr? Welches Fleisch muss reifen, welches nicht? Ist dieser Käse nur einfach jung – oder tatsächlich noch unreif? Warum schmeckt den Heranwachsenden der Wein nicht, dem ihre Eltern mit Begeisterung zusprechen? Sind sie vielleicht noch nicht reif genug?
Von einer mühsamen Suche nach Reifung kann keine Rede sein: Sie ist allgegenwärtig. Auf den folgenden Seiten finden Sie einen begrenzten Ausschnitt zum Thema; ein weiterer Beitrag zur Reifung von Wein folgt im nächsten Journal Culinaire.
Dass Reifung zu einem erheblichen Teil mit Zeit zu tun hat, ist eine Binsenweisheit. In der alltäglichen Herstellung von Lebensmitteln ist Zeit zu einem extrem teuren Faktor verkommen, den es um jeden Preis zu minimieren gilt. Geschmack und Bekömmlichkeit bleiben aus technologischer Sicht nicht selten auf der Strecke. Das hat damit zu tun, dass in Reifeprozessen vielfältige Entwicklungen ablaufen, die im Übrigen längst nicht alle geklärt sind. Sie sind konstitutiv an die Zeit gebunden und lassen sich trotz guten Willens einfach nicht beschleunigen. Menschlicher Erfindungsreichtum hat über lange Zeiten vor allem sichere, aber auch geschmackvolle und bekömmliche Nahrungsmittel gerade über Reifevorgänge hervorgebracht. Enzyme, Hefen und Bakterien (oder zwei von ihnen oder alle drei gleichzeitig) sind hierbei eifrige Helfer. Mit ihnen sind Kulturleistungen ersten Ranges schon vor dem Durchbruch der Naturwissenschaften vollbracht worden. Ihnen sollte ein gerüttelt Maß Wertschätzung entgegengebracht werden.
Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für einen reifenden Lesegenuss!