Beschreibung
Birgit Kempkers Texte tun weh. Zuallererst ihr selbst. Weil sie Scham schon durchhat. Weil sie keine Peinlichkeit scheut. Weil sie Ross und Reiter nennt. Busch und Rose und Unterhose. Oma und Opa, Mama und Papa, Wuppertal und Essen-Werden. Namen bedeuten was. "Moribund, sagt Elke Erb zärtlich zu dir am Morgen mit rohen Zwiebeln zwischen den Zähnen und hohem Blutdruck in Edenkoben wie zu wundem Hasen. Besser Edenkoben als Hassloch nebenan. Die Peinlichkeit, Orte zu hassen: wie Hassloch. Die Peinlichkeit, Hassworte des Tages zu haben, wie heute: Akzeptanz. Die Peinlichkeit des magischen Verhältnisses zu Worten, Namen und Sätzen." Oder: "Du verwechselst Krypto mit Krypta in Essen-Werden, wo deine Eltern mit dir im Bauch deiner Mutter und in einem praktischen Schwarzen heiraten. Die Peinlichkeit, dass dein Kläger, dessen Namen du nicht nennen darfst, in Essen-Werden in einem Logotherapeutischen Institut seinen Logotherapeuten machte und jetzt Direktor ist und dies dir in Budapest nicht gut bekam, ihm auch nicht. Die Peinlichkeit, dass dir, Weiteres zu erwähnen, per Gesetz verboten ist, vorbestraft, und noch peinlicher ist, dass du dich daran hältst, als würde dieser Kläger lebenslang klagen. Du wirkst auf mich recht angeschlagen, Baby." Und: "Die Peinlichkeit, Windeln zu brauchen, grosse Hosen, das Bett einzukoten, die Peinlichkeit, dass dies einem Menschen passieren kann und passiert und dass du ein Mensch bist.
- Selbst wenn es Inzest war, kann man sein Knie später noch gut gebrauchen, sagt Doktor Cheng.
- Niemand will die Person sein, die mit dir über diese Anussache spricht, sagst du.
Wenn Schleimbeutel am Ende des Anus, dann: ab in die Röhre zum Defäkationsprotokoll, ob du die Befehle sendest und empfängst. Ob du Pressen kapierst oder dich paradox verhältst wie beim Kinderkriegen. Ob dein Beckenboden sich senkt beim Defäkieren. Frauen mit Spontangeburten sind Kandidaten fürs Antipressverhalten. Na?
- Was?
- Es ist leichter, sich um das Klo zu kümmern, als um den Enddarm, an dessen Ende der Schleimbeutel zu locker sitzt, oder überhaupt sitzt, und deshalb der Kot nicht richtig festgehalten werden kann, oder sich konisch formt und unfreiwillig dann und wann herauskullert, nicht nur beim Pinkeln. Er kullert konisch zur Unterhose raus, die Beine runter in die Socke oder auf die Treppe.
- Kullern?
- Eher ruckeln, zuckeln, schmieriges Gleiten.
- Sich im Beinhaar fangen.
- Oder auch hoppeln?
- Auch hoppeln.
- Ja?
- Kotskulpturen.
- Die Scham über ein kaputtes Klo ist nicht dieselbe wie über einen kaputten Enddarm.
- Warum sagst du das? Das weiss doch jeder.
- Eben, ich versuche nicht Räuber und Jäger zu sprechen, sondern von etwas, was du verstehst, was dir nah ist, verstehst du? Kot ist für alle.
Jeder hat schon mal einen Arm gesehen, der tief in einen Kloabgrund griff, um das Klo nicht gänzlich abschrauben zu müssen oder einen teuren Fremdarm anheuern zu müssen mit Anweg. Ausserdem ist es das Testosteron, was den Frauen fehlt, wenn es aus ihnen herausfällt.
- Verstehe.
- Und?
- Zu nah.
- Zu nah?
- Es geht zu weit.
- Zu weit?
Endlich hast du etwas, was alle begreifen, und schon geht es zu weit. Du sollst dich nicht in die Anschaulichkeit davon steigern, was ja sowieso alle verstehen. Du sollst sie ablenken vom Leben. Das Leben ist peinlich genug.
- Also echt!"