Beschreibung
«Pfui das Dritte Reich! Heil Moskau!», schreit Ludwig S., genannt Wiggerl, lauthals und mehrmals aus dem Fenster eines Zugs im Bahnhof Neustadt an der Weinstraße. Es ist der 16. September 1938 und für die Nazis ein Affront. Der nationalsozialistische Staat bereitet sich auf den Zweiten Weltkrieg vor, den er ein Jahr später beginnen wird. Umgehend wird Wiggerl verhaftet und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) überstellt, der wichtigsten Terrororganisation im Nazi-Staat.
Die Justiz verurteilt ihn am 14. Januar 1939 daraufhin wegen «Vorbereitung zum Hochverrat» und «Verbreitung kommunistischer Propaganda» zu einem Jahr und sechs Monaten Haft, die er im Gefängnis in Ulm verbüsst. Aber Wiggerl wird nicht entlassen. Nach der Verbüßung seiner Strafe erwartet ihn ein Leidensweg durch drei Konzentrationslager: Sachsenhausen in Brandenburg und Dachau in Oberbayern. In der Nacht vor dem «Invalidentransport» nach
Mauthausen in Oberösterreich kommt er aus unbekannten Gründen zu Tode. Wiggerl war ein Außenseiter und Verlierer und hatte eine schwere Kindheit, die ihn zu einem Gelegenheitsarbeiter und Kleinkriminellen machte. In der Nazi-Terminologie
galt er als «asozial», als «minderwertig», als unproduktiver «Mitesser» und Feind des «deutschen Volkskörpers».
Andreas Pospischil stieß durch Zufall auf dieses Leben in der Familie seiner Frau. Sein Bericht beleuchtet einen besonderen Aspekt der Ausmerz- und Vernichtungs-Fantasien der Nationalsozialisten.