Beschreibung
»Niemand kennt die Regeln. Man weiß lediglich: der Typus, der hier tätig ist, vereitelt nicht nur seinen Erfolg, er vereitelt auch seinen Ruhm. Keine Nachfolge. Keine Schule. Keine Wiederkehr. Die Übereinkünfte gebrochen, die Erwartungen enttäuscht, die Beweggründe im Dunkeln. Ein Leben im Verschwinden.«
So beginnt Fritz Mierau, Slawist, Literaturwissenschaftler und Franz Jung-Forscher, seinen neuen Essay.
Der Autor geht dem Geheimnis nach, aus dem sich das bewegende Lebensmotiv von Jung zusammensetzt. So stehen im Mittelpunkt dieser brillanten Untersuchung nicht die äußeren Fakten, wie sie von den Ereignissen hervorgebracht werden, sondern die innere, die geistige Konstitution, aus der heraus sich Franz Jungs Lebensweg als exemplarisch verstehen läßt. Die Dramatik wird umgekehrt. Das Abenteuerliche und Hochstaplerische der Person Jung wird nicht ausgeschmückt, die bewegenden intellektuellen Motive dagegen freigelegt.
Fritz Mierau zeigt, welche Rolle Expressionismus, Dada, Spartakus, Psychoanalyse und Ökonomie spielen, wie die literarische und politische Existenz, deren gegensätzliche Identitäten – Börsenjobber, Deserteur, Schiffsräuber und Fabrikleiter in Rußland – in der Person Jung zusammenwirkten. Eine äußerst spannende Frage, bietet Jung sich nicht nur als prototypische Figur des 20. Jahrhunderts an, sondern auch als deren Gegenbild.
Eine sensible und kundige Biographie über eine der schillerndsten Figuren der Literaturgeschichte.
Autorenportrait
Fritz Mierau, geboren 1934 in Breslau, gestorben 2018 in Berlin, war Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Essayist. Übersetzung und Herausgabe russischer Literatur – von Autoren wie Tretjakow, Majakowski, Mandelstam und Achmatowa – und geistesgeschichtlicher Werke wie »Russen in Berlin« und »Die Erweckung des Wortes«. Zusammen mit Sieglinde Mierau Mitherausgeber der Franz-Jung-Werkausgabe sowie Autor der Biografie »Das Verschwinden von Franz Jung«. 2002 erschien Fritz Mieraus Autobiografie »Mein russisches Jahrhundert«.
Für seine Verdienste wurde Mierau 1988 mit dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR, 1991 mit dem Literaturpreis zur deutsch-sowjetischen Verständigung, 1992 mit der Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung Weimar, 1996 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und 1999 mit dem Karl-Otten-Preis des Deutschen Literaturarchivs Marbach ausgezeichnet.