Beschreibung
Jahrhundertelang waren die Bauern die armseligsten, geschundenen, verachteten Mitglieder einer Gesellschaft, die allerdings ohne deren harte Arbeit nie hätte existieren können. Kulturell fanden die Bauern, wenn überhaupt, nur Platz als karikierte Objekte der Belustigung. Im 19. Jahrhundert jedoch und zeitgleich mit dem Einsetzen der Industrialisierung kommt es in den internationalen Salons zu einer auffälligen und bis zur Jahrhundertwende anhaltenden Häufung von Bauerndarstellungen, bei denen die schlichte Darstellung der körperlichen Arbeit im Vordergrund steht. Monumental und in ihrem ernsten Ausdruck unterstützt durch eine ungeglättete, rauhe Malweise erheben sich die Bauern plötzlich vor der erschrockenen Öffentlichkeit und werden zu Vorbildern einer Generation junger, aufbruchsbereiter Künstler, die sich die Suche nach einer Kunst für den Menschen zum Ziel gesetzt hat. Dabei handelt es sich nicht um eine singuläre Erscheinung, sondern um ein von Frankreich über ganz Europa sich ausbreitendes Phänomen, das der Malerei wesentliche neue Impulse geben konnte. Grundlage der vorliegenden Studie ist zunächst eine umfassende Analyse der psychosozialen, sozialpolitischen und ideengeschichtlichen Situation Frankreichs in den Jahren vor und nach 1848, aus der heraus zunächst in der Philosophie und Literatur die Natur als Heilmittel einer angekränkelten, überlebten Zivilisation und in der Folge der durch seine Arbeit mit der Natur verbundene Bauer als Leitstern der modernen zukünftigen Zivilisation entdeckt werden sollte. Anhand der Beschreibung und Interpretation zehn ausgesuchter und in ihrer Zeit aufsehenerregender Werke wird die Umsetzung der theoretisch-literarischen Grundlagen, die Entwicklung des Bauernbildes, die Wirkungsgeschichte, die Problematik der Modernität und die dem Thema innewohnende spannungsreiche Ambivalenz zwischen Realismus und Idealismus herausgearbeitet. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die Maler Jean-François Millet und Gustave Courbet, die als erste durch das Vorbild des Bauern ein neues Menschenbild in der Kunst entwarfen und immer wieder neu interpretierte Schlüsselbilder für das 19. Jahrhundert schufen.