Verantwortung für unsere Gefühle
Die emotionale Dimension der Aufklärung
Janus, Ludwig / Kurth, Winfried / Reiß, Heinrich J. / Egloff, Götz
Erschienen am
15.12.2015
Beschreibung
Der geschichtliche Prozess besteht in einer fortwährenden Entwicklung und Transformation der gesellschaftlichen Strukturen und der psychologischen Mentalitäten. Jeder wird in seinem Leben durch die Entwicklung in seiner Zeit
geprägt und ist gleichzeitig Mitgestalter dieses Geschehens. Jacob Burckhardt hat in diesem Sinne gesagt: „Wir möchten gern die Welle kennen lernen,auf der wir treiben,doch wir sind die Welle selbst.“ Der große Wendepunkt in der neueren Mentalitätsgeschichte und Gesellschaftsgeschichte ist die Aufklärung mit der
Befreiung des Denkens aus projektiven Trancen und Strukturen. Dieser Mentalitätswandel hat die erstaunlichen Veränderungen und Fortschritte auf allen gesellschaftlichen Ebenen in den letzten 200 Jahren ermöglicht, indem er die kognitiven Potenziale des Einzelnen für die Gesellschaft freisetzte. Diese Entwicklung war auch ein Beginn der Reflexion unserer Gefühle,wie sie sich beginnend in der Literatur des 18.und 19.Jahrhunderts und in den Tiefenpsychologien des 20. Jahrhunderts vollzog. Trotzdem konnten immer noch kollektiv-projektive Gefühlsstrukturen das gesellschaftliche Geschehen gestaltend mitbestimmen, wie
dies etwa in den Kriegsinszenierungen des 20. Jahrhunderts und den kollektiven Ideologien zum Ausdruck kam und kommt. Ein Grund hierfür ist, dass die frühen
vorsprachlichen Erlebensschichten weitgehend im Stammhirn auf einer senso-motorisch-imaginativen Ebene gespeichert und deshalb zutiefst unbewusst sind. Darum
konnten und können sie so elementar projektiv ausgelebt werden. Hier ist in den letzten Jahren durch die Entwicklung der Säuglingsforschung und der Pränatalen Psychologie ein Wandel eingetreten, sodass auch diese frühen Ebenen der Reflexion zugänglich werden können. Daraus ergibt sich die neue Möglichkeit, auch diese frühesten vorsprachlichen Gefühle auf der persönlichen Ebene zu erfassen, zu reflektieren und auch wirklich zu verantworten. Das würde auch den Umgang mit Gefühlen auf der kollektiven Ebene grundlegend verändern, wie dies auch jetzt schon in der Durchsetzung demokratischer Strukturen und in dem Ersatz der Kriegsinszenierungen durch Verhandlungen zunehmend geschieht. Die Reflexion und Verantwortung der Gefühle erscheint als ein so weitreichender Schritt in der Mentalitätsentwicklung, dass man auch von einer emotionalen Dimension der
Aufklärung sprechen könnte. In diesem Band wird diese Perspektive auf verschiedenen Ebenen erkundet und erläutert.