Beschreibung
Niemals haben Menschen ein heftigeres Bewusstsein von ihren Rechten und Ansprüchen besessen als heute, niemals fühlten sie sich darin aber auch stärker verletzbar. ‚Selbstbestimmung’ und 'Selbstverwirklichung’ waren klassische bürgerliche Parolen, die den Menschen zu seinem eigenen Werk erheben und ihn zugleich gegen äußere Verletzung immun machen sollten. Doch diese Immunität scheint durch eine Selbstvergegenständlichung des Menschen zum Rechts- und Anspruchssubjekt erkauft. Kränkt sich der Mensch der autonomen Vernunft und Moralität selbst, damit nichts anderes mehr ihn kränken kann? In Band III der Metaphysischen Miniaturen geht es um die sozialen Bedingungen und Erscheinungsformen gekränkter Humanität. Hierzu werden Erniedrigungserlebnisse in bürgerlichen und nichtbürgerlichen Gesellschaften systematisch miteinander verglichen. Den Abschluss bildet eine Interpretation der sogenannten Globalisierung als Entwürdigungsgeschehen. Leseprobe: „Von Anbeginn zwischen Aufstiegshoffnung und Absturzängsten gefangen, scheint der Bürger ein unglückseliges Mittelwesen, ewig im Übergang und in der Bredouille; ein Wollen und Streben mehr denn ein Fühlen und Sein. Überhaupt: Haben statt Sein, Streben statt Leben. Des Bürgers soziale wie seelische Undefiniertheit, ja Gestaltlosigkeit ist das Erkennungszeichen des Ehrgeizlings, desjenigen, der alles werden kann, weil er nichts ist. Der Bürger nennt es freilich nicht Frustration, sondern Emanzipation, nicht Verkümmerung, sondern Globalisierung, was ihn treibt. Im Expansionsdrang dieses Wesens, das nichts ist und deshalb glaubt, dass man alles Mögliche aus sich und der Erde machen könne, zeigt sich die ungesicherte, gespaltene Natur aus seinem historischen Ursprung: Die luftige Formel von Universalrechten und der harte Griff nach dem handfesten Vorteil, beides gehört zusammen. Eine Menschheit aus Anspruchsberechtigten und Anrechtsbewussten, der durch Systeme der Bedürfniserfüllung von klein auf eingepaukt wurde, was man vom Dasein zu verlangen habe. Da in der bürgerlichen Welt nur existiert, was sich zeigen und zählen lässt, müssen die Ambitionen so groß wie die Ängste sein.“