Beschreibung
Eines Tages saß ich in einem der letzten kultigen, urigen Internetcafés von Hannover und schrieb meinem Freund eine Mail. Solche Cafés gibt es heute eigentlich nicht mehr, obwohl das erst zehn Jahre her ist: Im unteren Teil durfte man rauchen und es gab den stärksten und billigsten Kaffee der Stadt. Im oberen, nicht durch eine Tür getrennt, war Nichtraucherzone. Selbstredend saß ich - obgleich Nichtraucherin - lieber unten - der Rauch stieg ja hoch -, nicht zuletzt auch deswegen, weil oben nie jemand saß und man von dort nur in einen trostlosen Hinterhof schauen konnte. Allerdings dachte ich jedesmal, ich müsste wieder anfangen zu rauchen, schon um den bitteren Kaffee zu ertragen. Die Rauchschwaden vor den Fenstern, das gemütliche Geklapper der Tastaturen und die schummerige Beleuchtung, die die Bildschirme verbreiteten, schirmten einen von der Außenwelt ab. Mein Freund hatte mir gerade eine Nachricht geschrieben, in der er u.a. einen Rohling erwähnte, gemeint war ein CD-Rohling, aber er hatte sich vertippte und da stand: „Rahling“. Rahling? Ich lehnte mich zurück, ich war von der Arbeit übermüdet und fantasierte halb träumend über das abenteuerliche Wort. Ich wollte ein Buch darüber schreiben und wusste nur eins: Es sollte um die Tiefen im Leben gehen, um ein unlösbares Rätsel, um den Tod. Auch um das Ideal einer Liebe und deren Unmöglichkeit, um zwei gegensetztliche Charaktere (ein phlegmatischer Mann und eine hektische Frau) und wie ich sie künstlerisch, sprachlich darstellen könnte. Was wäre wenn. eine schöne Frau ermordet wird und im Sterben noch das Wort „Rahling“ sagt, das - wie ich schnell herausfand - im Internet zu nichts Sinnvollem führte? Müsste man nicht verrückt werden? Und wie müsste derjenige Mensch beschaffen sein, der nicht daran verrückt würde? Der Ermittler durfte natürlich kein gewöhnlicher Mensch sein: Ich wollte, dass er wenig Angst hat - also stattete ich ihn mit einer Krankheit aus, die lebensbedrohlich war und ihn gegen äußere Gefahren gleichgültig machte. Und ich wollte, dass er wenig Abstand zu seinem Fall hat, also musste er sich gleich zu Anfang in das Opfer verlieben. Christine Kappe, geboren 1970 in Einbeck, lebt in Hannover. Sie studierte Sprachwissenschaft und Geschichte in Hannover und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Seit 1990 werden Texte von ihr in Literaturzeitschriften und Anthologien veröffentlicht. Sie schreibt in verschiedenen Internetforen. Gemeinsam mit Schauspielern, Opernsängern und Musikern inszenierte sie eigene Stücke. Ihr erstes Buch erschien 2013 in der San Marco Handpresse, Bordenau. „Wie kann das sein“ - ein bibliophiler Gedichtband. 1996 erhielt sie den Literaturförderpreis der Stadt Leipzig, 2008 den 3. Platz beim Stadtkind-Literaturwettbewerb in Hannover. 2013 den KUNO-Essaypreis. Sie ist Mitglied im Veband deutscher Schriftsteller Niedersachsen-Bremen.