Beschreibung
Diese Studie untersucht die Konstituierung von lokaler indischer Kultur in der Gegenwart im Sinne einer gegenseitigen Durchdringung von Religion und kulturellem Gedächtnis. Die Halbinsel Kacch im Nordwesten des indischen Subkontinents war Sitz eines Königreichs, dessen Geschichte auf mannigfache Weise mit der mittelalterlichen Kultur der Rajputen von Saurashtra und Rajasthan verbunden ist. Im Kontext des Rajput-Königtums wird den Künsten von nicht-brahmanischen Barden nach wie vor eine hohe Wertschätzung entgegengebracht: In Dichtung, Gesang und der Archivierung von Stammbäumen manifestiert sich das Wirken der Göttin, die zugleich Könige durch ihre Macht zum Regieren befähigte. Barden bezeichnen sich als ‘Söhne der Göttin’ – in ihren Frauen nimmt die Göttin menschliche Gestalt an. Die Vergöttlichung von Frauen und die Archivierung kultureller Erinnerungen durch männliche Barden gehen hier eine Synthese ein. Vom sozialen Ort der Barden aus betrachtet erscheint die sozio-religiöse Kultur von Kacch jedoch nicht als Ausdruck unwandelbarer Tradition, sondern als geprägt von Transformationen politischer Machtverhältnisse und Neudefinitionen der Kaste im modernen Indien.
Autorenportrait
Die Autorin: Helene Basu lehrt Ethnologie an der Freien Universität Berlin. Ihre Arbeiten liegen im Spannungsfeld von Religionsethnologie, Gender- und Verwandtschaftsethnologie, historischer Anthropologie und Diaspora-Studien. Seit Jahren beschäftigt sie sich mit den indischen Religionen des Islam, Sufismus und Hinduismus in ihren gelebten Kontexten. Vor ihrer Forschung in Kacch führte sie langjährige Primärforschungen zur afrikanischen Diaspora in Indien durch. Zahlreiche Publikationen behandeln die Geschichte und Ethnographie der Sidi.