Beschreibung
Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts etabliert der Buchdruck einen neuen Schriftbegriff und erzeugt grundlegende Merkmale des modernen Textes wie Geschlossenheit und Verfügbarkeit. Deren Bewertung fällt zeitgenössisch sowohl positiv als auch negativ aus: Die Technik wird einerseits als Garant für Autorität, andererseits als deren Entwertung gesehen. Die grenzenlose Verbreitung der Schrift erscheint begrüßenswert und macht gleichzeitig neue Verfahren der Vermittlungsbegrenzung notwendig. In diesem Feld der sich wandelnden Schrift- und Textbegriffe um die Wende zum 16. Jahrhundert werden das Wissen, die moralphilosophische Lehre und die literarische Tradition im Druckdispositiv neu geordnet. Im kulturellen Netz zirkulieren Materialien leichter und schneller und tragen damit zur Verstetigung und Verdichtung dieses Netzes bei. Als zentraler epistemischer Effekt des Paradigmenwechsels vom Manuskript- zum Druckdispositiv lässt sich eine neue Rezeptionshaltung diagnostizieren, die in besonderer Weise mit den Innovationen des europäischen Dramas korrespondieren. Sven Thorsten Kilian untersucht in seiner Studie spanische, italienische und französische Dramentexte aus dem Zeitraum zwischen 1500 und 1550, da diese immer schon als öffentlich gedachten und reproduzierten Texte die neue Beweglichkeit der Schrift in exemplarischerer Weise reflektieren.