Beschreibung
Was bleibt von Geschichte übrig? Wie sehen heute die Orte aus, an denen sie sich einst ereignete? Erzählen sie noch von den ehemals bedeutsamen Dingen? Oder ist der Zusammenprall unseres Wissens mit der Unsichtbarkeit des Früheren der Punkt, an dem es nochmals interessant wird?
Mit solchen Fragen scheint sich der Berner Photograph Dominique Uldry auf die Reise begeben zu haben, um die Orte zu photographieren, die im Leben von Karl und Robert Walser eine wesentliche Rolle spielten: Biel, Zürich, Berlin, Bellelay, Bern und Herisau. Sein Interesse ist kein antiquarisches, sondern ein heutiges; folgerichtig photographiert er in Farbe; alles wirkt ganz gegenwärtig. Die Unscheinbarkeit der Motive und die Sorgsamkeit, mit der sie ins Bild gesetzt sind, lassen jedoch sofort spüren: Hier muss es noch um etwas anderes gehen. Was man sehen kann, ist nicht alles.
Uldry führt damit die Paradoxie des ‹Pilgernden› vor Augen. Indem er durch seinen Besuch die Geschichte eines Ortes neuerlich wachruft, erfährt er in gleichem Mass die Nähe und Ferne des Vergangenen. Und Nietzsches so gern verdrängte Frage nach dem «Nutzen und Nachteil der Historie» für das eigene Leben steht erneut im Raum.
Neben Uldrys Bildern enthält der Band einen Essay von Bernhard Echte über die beiden Walser-Brüder. Auch hier geht es nicht um die Rückversetzung in die Zeit ihrer Biographien, sondern um die Frage, wie der eine durch den anderen womöglich erst zu dem wurde, der er war. Robert Walser betrat die Sphäre der Kunst im Frühjahr 1894 bereits als ein Objekt der Betrachtung: als Modell seines Bruders Karl; in einer Aquarellskizze stellte ihn dieser in der feurig verkörperten Rolle von Schillers Räuber Karl Mohr ebenso sachlich wie ironisch dar. Das Porträt von Robert Walser als des Poeten, der vor blühender Gartenlandschaft auf einem Stein sitzt, folgte nur wenig später. Stundenlang soll Robert Walser in der Folge hinter Karl Walsers Rücken gestanden haben, um zu erfahren, wie ein Maler die Welt bildet.
Die Ästhetik der Darstellung und die Poetik des Schreibens – was hatten sie gemeinsam? Und was trennte sie? Diese Fragen haben Karl und Robert Walser zunächst in großer Übereinstimmung, zuletzt aber in prinzipieller, ja geradezu unversöhnlicher Meinungsverschiedenheit thematisiert. Was sie dazu führte, versucht Bernhard Echtes Essay zu ergründen.