Beschreibung
Der alte Streit zwischen Philosophie und Rhetorik über die Möglichkeiten rationaler Selbstbestimmung ist alles andere als entschieden. Gewohnheit und Konventionen, die klassischen Opponenten der Vernunft, spielen in der Ökonomie menschlichen Handelns und Wissens keinesfalls nur eine negative Rolle. Vielmehr stehen sie für einen Geltungsanspruch ein, der Identität, auch soziale, nicht über Natur und Verstand, sondern über gewachsene Orientierung in der Zeit, über Geschichte, definiert. Memoria und actio, die beiden oft vernachlässigten Aufgaben des Redners, verweisen auf die performative Dimension, die Wissen über ein habitualisiertes Gedächtnis, über Wiederholung, dem Körper einschreibt. Solches Wissen kann nicht gelehrt, sondern nur geübt werden und ist noch Grundlage des kulturellen Gedächtnisses. Ausgehend von der antiken Rhetorik wird das breite Funktionsspektrum der Gewohnheit und seine Leistung für die Modellierbarkeit des Menschen am Beispiel der mittelalterlichen Monastik und Adelserziehung bis hin zur frühneuzeitlichen Schwankliteratur verfolgt. Im Fokus stehen nicht nur Formen des Handelns, sondern auch des Wissens, wie sie die Topik traditionell verwaltet und die im Rahmen einer «Epistemologie des Exemplarischen» neue Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.
Inhalt
Vorwort von Christian Kiening
Einleitung
Theoretischer Rahmen
Antike Rhetorik als Paradigma
Rhetorische Wahrscheinlichkeit und christliche Wahrheit
Worte und Taten
Monastische Erziehung
Vollkommenheit: puer senex
Christliche Bildung des Adels
Das Gedächtnis des Herzens
Der Hof: Adelserziehung
Indifferenzzonen von Natur und Gewohnheit